Das Jahr der Flut
sie ihn leibhaftig sieht. Ihn berührt.
Sie trinken Kaffee − geröstete Löwenzahnwurzeln, sagt Rebecca stolz −, dazu ein paar gebackene Klettenwurzeln mit Kräutern und eine Scheibe − kaltes Schweinefleisch.
»Diese Schweine sind eine Plage«, sagt Rebecca. »Um einiges zu schlau.« Sie sieht Toby herausfordernd an. »In der Not frisst der Teufel Fliegen«, sagt sie. »Immerhin wissen wir, was drin ist − nicht wie bei GeheimBurger.«
»Schmeckt köstlich«, sagt Toby ehrlich.
Nach ihrer kleinen Mahlzeit überreicht Toby ihr die restlichen drei Mo’Hairbeine, die inzwischen nicht mehr die frischesten sind, aber für Brühe reicht’s allemal, sagt Rebecca. Dann tauchen sie tief in die Geschichte ein. Toby erzählt von ihrer Zeit im AnuYu-Spa und von Rens plötzlichem Auftauchen; Rebecca schildert, wie sie unter falscher Identität in geschlossenen Wohnanlagen an der Westküste Lebensversicherungen verkauft und dabei MaddAddams erfinderische Bioformen ausgesetzt hatte und wie sie gerade noch den letzten Torpedozug nach Osten erwischte − ziemlich riskant, viele hustende Leute, aber sie hatte Nasenhut und Handschuhe an −, um sich zusammen mit Zeb und Katuro in der Wellness-Klinik zu verstecken. »In unserem alten Versammlungszimmer, weißt du noch?«, fragt sie. »Unsere ganzen Ararat-Vorräte waren noch da.«
»Und Katuro?«, fragt Toby.
»Dem geht’s gut. Der hatte zwar irgendeine Grippe, aber nicht die schlimme; er hat sich inzwischen erholt. Er ist mit Zeb, Shackleton und Schwarznashorn unterwegs. Sie suchen Adam Eins und die anderen. Zeb sagt, wenn jemand durchgekommen ist, dann sie.«
»Wirklich? Es besteht also eine Chance?«, fragt Toby.
Hat er auch nach mir gesucht?
, möchte sie fragen. Wahrscheinlich nicht. Er muss sich gedacht haben, sie komme schon allein zurecht. War ja auch so gewesen, oder?
»Wir hören Tag und Nacht auf unserem Kurbelradio Kurzwelle und senden damit auch Nachrichten raus; vor ein paar Tagen haben wir endlich eine Antwort bekommen«, sagt Rebecca.
»War er’s?« Toby glaubt jetzt alles, was man ihr erzählt. »Adam Eins?«
»Wir haben nur eine Stimme gehört. Sie sagte immer nur: ›Ich bin hier, ich bin hier.‹«
»Hoffen wir das Beste«, sagt Toby. Und sie hofft; zumindest gibt sie sich alle Mühe.
*
Draußen bellen Hunde, und alles brüllt durcheinander. »Scheiße, Hundeangriff«, sagt Rebecca. »Bring dein Gewehr mit.«
Die MaddAddams sind mit ihren Spraygewehren schon am Zaun. An die fünfzehn große und kleine Hunde springen schwanzwedelnd auf sie zu. Die Männer mit den Spraygewehren schießen drauflos. Bevor Toby abdrücken kann, sind sieben Hunde tot und die anderen weggelaufen.
»Transgene Hunde von Watson-Crick«, sagt Elfenbeinspecht. »Das sind eigentlich keine Hunde, die sehen nur so aus. Die zerfleischen dich bei lebendigem Leib. Früher wurden die in Gefängnissen und dergleichen eingesetzt − Hunde lassen sich nicht hacken, anders als der Alarmcode −, aber während der Flut haben sie sich befreit.«
»Pflanzen sie sich fort?«, fragt Toby. Werden sie fortan Welle für Welle dieser Nicht-Hunde abwehren müssen, oder sind es nur einige wenige?
»Das weiß der Himmel«, sagt Elfenbeinspecht.
Blue Lotis und Weiße Segge gehen hinaus, um nachzusehen, ob die Hunde wirklich tot sind. Dann kommen Tamaraw, Rebecca, Swift-Fuchs und Toby dazu. Sie ziehen ihnen das Fell ab und schlachten sie, während die Männer mit den Spraygewehren Wache halten, falls die anderen zurückkommen. Noch immer sitzen bei Toby die Handgriffe. Es riecht auch noch genauso wie damals. Ein Geruch aus der Kindheit.
Die Häute der Hunde werden zur Seite gelegt, das Fleisch wird zerschnitten und kommt in den Kochtopf. Toby ist leicht übel. Aber sie hat auch Hunger.
73.
Ren. Sankt Rachel und Allervögel, Jahr Fünfundzwanzig
Ich frage Croze, ob ich beim Häuten der Hunde mithelfen soll, aber Croze sagt, es seien genug Leute da, die das machen, und ich sähe müde aus, ob ich mich nicht im Lehmhaus auf sein Bett legen wolle? Der Raum ist kühl und riecht noch genauso nach Lehmhaus wie früher, ich fühle mich sicher. Crozes Bett besteht nur aus einer Holzplatte, aber er hat ein Laken und eine Decke aus silbernem Mo’Hairfell, und Croze sagt, schlaf gut, und geht aus dem Raum, und ich ziehe mein AnuYu-Oberteil und meine Hose aus, weil mir langsam warm wird, und die Mo’Hairdecke ist seidig und weich, und ich schlafe ein.
Als ich vom Nachmittagsgewitter geweckt
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