Das Jahr der Kraniche - Roman
Erleichterung.
»Um Shadow? Wir haben so lange nichts von Ihnen gehört, da dachten wir…«
»Wir haben endlich den Besitzer gefunden. Ein Bauer im Oderbruch, Hannes Fulda. Er hatte nicht angezeigt, dass der Hund entlaufen ist. Wahrscheinlich hat er gehofft, dass er von allein wieder zurückkommt. Aber seine Kinder haben jetzt ein Foto ins Internet gestellt.«
»Heißt das, sie wollen ihn wieder zurück? Aber das geht nicht, Shadow ist jetzt unser Hund.«
»Das machen Sie am besten mit dem Besitzer aus. Ich habe Ihnen die Adresse hier aufgeschrieben. Rufen Sie ihn an und reden Sie mit ihm. Für uns ist die Sache damit erledigt.«
Er drückte Jan einen Zettel in die Hand.
»Danke. Das werden wir tun.«
Peter Kuhn verabschiedete sich und bat noch einmal um Entschuldigung für seinen späten Besuch.
»Kein Problem. Danke, dass Sie vorbeigekommen sind.«
»Sagen Sie, wieso haben Sie mich nach Ihrer Frau gefragt? Ist irgendetwas passiert?«
Nur, dass ich offensichtlich inzwischen vollkommen paranoid bin.
» Nein. Sie macht einen Spaziergang mit dem Hund. Nichts Ungewöhnliches. Aber als ich Sie da stehen sah… Ich habe einfach einen fürchterlichen Schreck bekommen. Ist ja nicht alltäglich, dass die Polizei plötzlich vor der Tür steht.«
Peter Kuhn nickte. Er kannte diese Reaktion der Leute. Immer dachten sie gleich an das Schlimmste, wenn sie jemanden wie ihn sahen, oder sie bekamen auf der Stelle ein schlechtes Gewissen. Viele überlegten, ob sie die letzten Strafzettel gezahlt hatten oder bei Rot über die Ampel gefahren waren.
Als Kuhn sich verabschiedet hatte, atmete Jan tief durch. Es war sicher alles ganz normal. Laura würde jeden Moment zur Tür hereinkommen. Sie würde ihm erzählen, was sie in den letzten zwei Tagen gemacht hatte. Es würde ihr gut gehen. Sie würden zusammen eine Kleinigkeit essen, und er würde ihr erzählen, dass er den Auftrag für den Bau des Kaufhauses tatsächlich bekommen hatte. Er holte sich eine Tüte Chips aus dem Schrank, öffnete eine Flasche Rotwein und setzte sich ins Wohnzimmer. Gleich würde sie zur Tür hereinkommen, gesund und munter.
Hanno wollte erst kurz duschen, bevor er zu Laura ging, um ihr den Hund zu bringen. Er war von der Schufterei total durchgeschwitzt und wollte ihr dermaßen stinkend nicht unter die Augen treten. Als er zur Hütte kam, wunderte er sich, dass die Tür offen stand. War Laura vielleicht hier gewesen, um Shadow abzuholen? Das hätte ihm leid getan. Er trat in die Hütte. Und sah, dass die Besteckschublade herausgezogen war. Das Notizbuch! Er tastete in den Hohlraum des Schranks. Er war leer. Das konnte nicht sein. Niemand wusste, dass er Julias Tagebuch hier aufbewahrte. Er hatte es nicht einmal Elke gesagt. Das Geschirr von heute Morgen– er hatte es auf dem Tisch stehen lassen. Jemand hatte es abgewaschen und in den Schrank gestellt. Elke? War Elke hier gewesen? Hatte sie das Notizbuch gefunden?
»Hanno?«
Das war Jans Stimme. Hastig schob er die Schublade wieder in den Schrank.
»Jan? Hallo. Was kann ich für dich tun?«
»Ich bin vor einer Stunde nach Hause gekommen.«
Shadow raste auf ihn zu, sprang bellend und winselnd an ihm hoch.
»Ist ja gut. Ich bin ja wieder da. Alles gut, mein Alter.«
»Ich wollte ihn gerade rüberbringen.«
Jan verstand eine Sekunde lang nicht. Natürlich, der Hund, er war bei Hanno gewesen. Bei Hanno? Das hieß, dass Laura allein unterwegs war? Sie war nicht auf einem Spaziergang mit Shadow? Sie hatte sich auch nicht bei Hanno verplaudert, wie er angenommen hatte?
»Ich hab angenommen, Laura ist bei dir.«
»Ist sie nicht zu Hause?«
Jan schüttelte den Kopf. Um Hannos Herz legte sich eine kalte Hand. Das Tagebuch… Lauras Verschwinden…
»Sie ist wahrscheinlich bei Elke. Vermutlich haben sie zusammen gekocht und die Zeit vergessen. Ich ruf gleich mal bei ihr an.«
»Nicht nötig. Ich geh bei ihr vorbei.«
Hanno entschloss sich, Jan zu begleiten. Irgendwie musste er der Angst, die sich in ihm festsetzte, Herr werden. Er musste sich persönlich vergewissern, dass alles in Ordnung war.
2
Laura schlug die Augen auf. Es war dunkel um sie herum.
Als sie versuchte aufzustehen, bemerkte sie, dass sie an Händen und Füßen gefesselt war. Die Kabelbinder waren fest zugezogen und schnitten ihr ins Fleisch. Panik überfiel sie. Sie musste hier weg, bevor Elke zurückkam. Mühsam rollte sie sich zur Seite, rutschte über den feuchten Boden, bis sie an eine Bretterwand stieß.
»Hilfe!
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