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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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sie gerade sind, beginnt es ein bißchen zu regnen. Nicht viel, nur ein leichtes Nieseln, das den Feierabendverkehr ein bißchen unangenehmer macht, aber keine ernsthaften Probleme verursacht. Mattison mag den Regen. In Los Angeles regnet es normalerweise so selten, manchmal bleibt es acht oder zehn Monate am Stück trocken, und angesichts all dessen, was hinter ihm in der Zone passiert, erscheint ihm der Regen nun frisch und rein, wie ein Segen für das geplagte Land.
    Es ist gut, wieder westwärts zu fahren, sich durch den abendlichen Pendlerverkehr langsam dorthin zu schieben, wo Los Angeles noch normal ist, hin zu der ausgedehnten Stadtlandschaft, in der er aufgewachsen ist. Was hinter ihm geschieht – die Lava, die Asche, das blauweiße Licht –, kommt ihm unwirklich vor. Das hier nicht. Dort vorn zu seiner Linken sind die Hochhaustürme von Downtown und der dichtgedrängte Haufen von Freeways, die sich treffen und dann in alle Richtungen auseinanderlaufen. Und direkt vor ihm liegen all die vertrauten Orte seines Lebens, Studio City, Sherman Oaks und Van Nuys in dieser Richtung, Hollywood, Westwood und West L.A. in jener, und so weiter und so weiter bis nach Santa Monica, Venice, Topanga und zum Pazifik.
    Wenn sie bloß einen Vorhang vor der Szenerie der Zone fallenlassen könnten, denkt Mattison. Oder eine fünfzehn Meter hohe Mauer bauen und sie vollständig abriegeln. Aber nein, das geht nicht, und die Lava wird weiterhin auf uns zukommen, stimmt’s, wird westwärts kriechen, immer weiter westwärts, bis sie irgendwann demnächst unter dem Rodeo Drive hervorgequollen kommt oder den San Diego Freeway von seinen Pfeilern schiebt. Ach, was soll’s: Wir können nur tun, was in unserer Macht steht, der Rest ist Gottes Gnade und Weisheit vorbehalten, stimmt’s? Stimmt’s?
    Sie sind jetzt fast schon wieder beim Haus.
    Der Regen wird schlimmer. Der Himmel vor ihnen färbt sich allmählich dunkel. Hinter ihnen ist er schon schwarz, außer dort, wo das seltsame Licht der Eruptionen durch die Nacht bricht.
     
    »McFlynn hat mich heute wirklich tierisch genervt«, erklärt er Donna DiStefano. »Ich hatte ernsthaft feindselige Gedanken in bezug auf ihn. Und sogar ziemlich lebhafte Phantasien, in denen ich ihn einfach in die Lava geworfen habe. Ehrlich, Donna.«
    Die Direktorin des Hauses lacht. Es ist das berühmte Donna-Lachen, herzhaft und hoch oben auf der Richter-Skala. Sie ist eine dralle Frau mit warmen, freundlichen Augen und einer Unmenge dunkler Locken, die ihr über den halben Rücken fallen. Nichts bringt sie je aus der Fassung. Angeblich war sie vor fünfzehn oder zwanzig Jahren mal auf der einen oder anderen sehr harten Droge, aber niemand weiß Genaueres.
    »Es ist verlockend, nicht wahr?« sagt sie. »Was für ein Ätztyp er ist, hm? War das vor oder nach Herzogs Rettung?«
    »Vorher. Lange vorher. Er hat mich seit dem Mittagessen angemeckert.« Mattison hat ihr nichts von dem Vorfall beim Transport der Pumpe erzählt. Wahrscheinlich sollte er es tun; aber er denkt, daß sie schon auf die eine oder andere Weise davon gehört hat, und es wird nicht von ihm verlangt, daß er Berichte über jeden Mist einreicht, den die Bewohner des Hauses anstellen, während er auf sie aufpaßt. »Später am Tag gab’s noch eine Situation, da hätte es mir großes Vergnügen bereitet, ihn kopfüber in den Schlot zu hängen. Aber ich habe statt dessen um Geduld gebetet, und Gott war nett zu mir, sonst hätten wir heute abend ein paar freie Betten im Haus.«
    »Ein paar?«
    »McFlynn und ich, weil er tot wäre und ich im Gefängnis säße. Und Herzog auch, weil McFlynn in diesem Moment als einziger in der Lage war, ihn zu retten. Aber nun sind wir ja alle heil und gesund wieder hier.«
    »Mach dir keine Sorgen deswegen«, sagt DiStefano. »Du hast heute gute Arbeit geleistet, Matty.«
    Ja. Er weiß, daß das stimmt. Er hat gute Arbeit geleistet. Jeden Tag tut er sein Bestes, auf jede Weise, Zentimeter für Zentimeter. Und er ist jede Stunde seines Lebens dankbar dafür, daß für ihn alles so gekommen ist und er die Gelegenheit dazu hat. Als hätte Gott im Rahmen der Therapie von Calvin Thomas Mattison, Jr., Vulkane nach Los Angeles geschickt, um ihm ein persönliches Geschenk zu machen.
    In den Nachrichten kommt an diesem Abend nichts über ungewöhnliche Vorgänge in der Zone. Das Übliche, ja, darüber verbreiten sie sich ausführlich, die übliche oberflächliche Berichterstattung, Fumarolen haben sich hier

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