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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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leuchtende Blatt aus der Luft und legte es sanft auf seinem Tisch ab. Der Anzug sah dem jungen Mann eine Weile direkt in die Augen, und zum ersten Mal regte sich in diesem der Wunsch nach Widerstand. Dann stand der Aufzug auf, wobei der junge Mann sich seltsamerweise aufgefordert fühlte, das gleiche zu tun, und streckte herablassend die Hand hin, etwa wie ein Vorgesetzter das getan hätte. Beim Hinausgehen sah sich der junge Mann noch einmal die Gänge der Behörde genau an, und die weibliche Stimme, die ihn hinausbegleitete, wurde dabei nicht ungeduldig. Der vorherrschende Farbton war ein helles Beige. Die Wände waren mit gleichgültiger moderner Kunst verziert, und der junge Mann konnte die Signaturen der Künstler nicht entziffern. Er dachte an der frischen Luft immer noch: ›Geheimdienst‹, und ihm war, als ob er in einer sehr trägen Flüssigkeit schwebe. Er dachte das auch noch auf dem Nachhauseweg. Seinen Eltern erzählte der junge Mann, es habe sich bei der Einladung um ein Vorstellungsgespräch bei einer halbstaatlichen asiatischen Firma gehandelt, die ihn wegen seiner Erfahrungen auf kulturellem Gebiet habe interviewen wollen, denn die Wahrheit erschien ihm zu unglaubwürdig. Sein Vater war beeindruckt, und wollte sich bei dem Konzern für seinen Sohn verwenden, was der junge Mann gerade noch einmal abwenden konnte. Am nächsten Tag kamen ihm schon Zweifel, ob sein Erlebnis überhaupt real gewesen war, wenn es sich hier um einen Geheimdienst handelte, dann höchstens um den der Verrückteninternationale, er lachte seine Angst in den Wind. Andererseits keimte ganz hinten in seinem Bewußtsein ein kleines Pflänzchen, das trug den Namen: »Ich bin etwas Besonderes.« Er schnitt es immer wieder ab mit dem Gedanken, er wolle für einen Haufen hochtechnisierter Verrückter nichts Besonderes sein, also business as usual, was in seinem Fall bedeutete: tägliche Arbeit als Schreibkraft in einer Datenfabrik und Pflege des ostasiatischen Brauchtums in der Lausanner Straße. Eine Woche später saß der junge Mann in einem der nett angelegten Parks seiner Stadt, er saß zwischen Bäumen in herbstlichem Gelb, dies war seine Mittagspause. Da setzte sich ein Mann neben ihn auf die friedliche Parkbank und begann ohne weiteres zu erzählen. Der junge Mann erkannte den Fremden, es war derselbe, der bei der Meditationsrunde vor Wochen ein einziges Mal zu Gast gewesen war.
    »Möchtest du für uns arbeiten?« fragte der Fremde.
    »Als was denn bitte schön?« fragte der junge Mann zurück, sein Herz pochte ihm im Hals.
    »Als Nozizeptor.«
    »Wie bitte?«
    »Als Nozizeptor. Ein Nozizeptor arbeitet an Zielen. Er speichert Schmerz in den sieben Häusern des Schmerzes. Du und deine Freunde, ihr würdet das sicher die sieben Chakren nennen, ja ja, ich weiß, es gibt noch andere.«
    Der Fremde sah sich einmal ohne Angst um, eher um die landschaftlichen Reiz des Parks zu bewundern, als in Sorge um Verfolgung oder Entdeckung.
    »Andersherum, christlich gesehen. Ein Nozizeptor ist eine Art … Engel. Nicht harmlos, sondern wirkungsvoll. Die Ziele sind problematisch. Sie schaden anderen. Die Helfer zeigen dir die Ziele. Du gehst hin und beschäftigst dich mit den Zielen. Das, was sie anderen immer geben, gibst du ihnen zurück. Du machst sie fertig, wie sie andere fertig machen.«
    Der junge Mann versuchte angestrengt, der Unterhaltung zu folgen. Vage wurde ihm deutlich, daß er nicht für einen konventionellen Geheimdienst angeworben werden sollte.
    »Hast du ja alles gespeichert. Ist ja alles in dir drin. Nach sieben Häusern und sieben Zielen bist du fertig.«
    Weil er so tun wollte, als nehme er aktiv am Gesprächsverlauf teil, fragte der junge Mann:
    »Und dann?«
    »Triffst du deinen eigenen Nozizeptoren. Ist doch logisch. Du hast ja anderen geschadet, in einem ganz besonderen Maß sogar.«
    »Was passiert mit den Zielen?«
    »Die meisten sterben. Andere verlieren nur den Verstand.«
    Der junge Mann hatte genug Fassung wiedergewonnen, um jetzt das Spiel ein wenig mitzuspielen.
    »Großartig. Und am Ende sterbe ich, ja? Und was kriege ich dafür?«
    Der Fremde lächelte auf eine höchst beunruhigende Art.
    »Du kannst dich verändern.«
    Zwei Tauben landeten in unmittelbarer Nähe, als wären sie aus dem Himmel gefallen. Sie pickten nach unsichtbaren Brotkrumen. Der junge Mann schwieg. Das war ihm alles zu bunt. Er suchte nach einem praktikablen Abgang, aber der Fremde kam ihm zuvor, indem er unvermittelt aufstand. Wiederum

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