Das Jahr der Maus
fertig gewesen war, hatte er sich eine Zigarette angezündet und war eine Zeit lang wichsend in seinem Zimmer auf- und abgelaufen, bis er ihm wieder stand. Große Routine. Erfahrener Arzt. Dann hatte er mich umgedreht wie ein Stück Fleisch und mich noch mal gefickt, diesmal in den Arsch. All das hatte der Nozizeptoren-Anteil in mir beobachtet, der nicht Karin war, denn Karin war zum Beobachten nicht in der Lage, Karin war verborgen in ihrem künstlichen Schlaf und empfand dort, in die Verwundung genötigt, den ganzen Schmerz dieser Heilbehandlung. Sie schrie stumm auf von unten, und der Nozizeptor in mir registrierte es. Karin war machtlos gewesen, gute zwei Stunden lang. Jetzt setzte sie sich vorsichtig auf, damit nicht alles gleich in ihre Kleider lief, und sagte zu mir: Ich fühle mich wie zugeschweißt. Offene Schweißnaht. Ich wollte noch eine Chance haben, den Sabber geregelt aus mir zu entlassen, ich wollte nach Hause gehen, ohne daß meine Unterwäsche davon feucht war. Kuhlmann saß an seinem Schreibtisch und blätterte in einem Terminkalender. Er sah mich an und wußte, daß er verloren hatte. Er wußte in dem Augenblick, daß seine übliche Technik, warum auch immer, versagt hatte. Zuerst bekam er Angst. Dann wollte er Zeit gewinnen. Ich wollte ihm die Illusion lassen, es könne sich noch ein Ausweg ergeben. »Wo ist Ihre Toilette«, fragte ich schwankend. »Nach draußen, erste Tür rechts«, antwortete er knapp, aber mit schwankender Sicherheit. Ich blutete aus beiden Körperöffnungen. Mein Körper hatte sich gewehrt, und war mit Gewalt überwunden worden. Ich konnte noch nicht weinen, sonst hätte ich mich blind geweint. Ich hatte mir einen Arzt gesucht und war von ihm verarztet worden. Es war alles meine Schuld. Ich haßte mich so sehr, ich wollte sterben. So beschmutzt hatte ich mich nicht mehr gefühlt, seit ich sechs gewesen war, seit dieser Onkel mir gezeigt hatte, wo der Bartel den Most holt, wenn’s grad sonstwo keinen gibt. Ich war noch getrennt von all dem, was da sein mochte, getrennt durch eine dicke Wand durchsichtiger Watte und einen hysterischen Zynismus, der meine Hände führte und mich reinigte, mir immer wieder einflüstern wollte: geschlagen, aber nicht gesiegt. Als wäre es da auch nur im Ansatz um Tapferkeit gegangen. Das war die Tapferkeit des zerbrochenen Kinds, das sich in sich selbst hineinfrißt, bis es eines Tages würgen muß an dem, wozu es geworden ist unter dem Eindruck seines Selbstschutzes, all den Dreck kotzen muß, den andere ihm eingebrockt haben in die Blutsuppe, kotzen muß, kotzen muß. Ich kotzte nicht. Kuhlmann war ein kühler Kopf, aber wenn man ihm zuviel Zeit ließ, konnte sicher auch er auf seltsame Ideen kommen, und ich hatte meine Befehle. Als ich in sein Behandlungszimmer zurückkam (die Hypnomaschine war mittlerweile wieder in der schlecht ausgeleuchteten Ecke verstaut, wo sie mir zum ersten Mal aufgefallen war), erschrak er zwar über meinen Anblick, aber er hatte nun einmal beschlossen, den Überlegenen zu spielen. »Niemand wird Ihnen glauben«, sagte er, während ich langsam näher kam. »Das ist auch gar nicht nötig«, sagte ich, und diese Antwort, und die Kälte, mit der ich sie auf den Weg brachte, verunsicherte ihn. Er stand auf, als ich ihm bis auf drei Schritte nahe gekommen war, um Fassung bemüht. Mein Tonfall schmeckte ihm nicht. Ich bettelte nicht und ich weinte nicht, da fehlte ihm was. Als er stand, sagte er: »Ich habe Freunde.« Ich war ihm nahe genug, und sein männlicher Stolz verbot es ihm, weiter zurückzuweichen. »Ich auch«, sagte ich, lächelte und brachte meine ganze rechte Handfläche auf seinem Gesicht herunter, nicht als Schlag, sondern nur als leichtes Antippen, nicht als Rache, sondern als Exekution. Es war, als fiele ihm die Seele aus dem Gesicht. Die Spuren, Narben, Falten, Runzeln, Poren, die Landschaft einer Physiognomie, die von der Psyche dieses Mannes getragen, geformt, zusammengehalten waren, sie entließen den Geist wie eine lecke Plastiktüte ihren flüssigen Inhalt. Ich hatte meine Hand noch nicht wieder ganz zurückgezogen, da war er schon leer. Aber im Gegensatz zum Polizisten D war ihm eines geblieben: die Sprache. Sprache ohne Steuerung und Vernunft. Und er fing an zu brabbeln … und wenn man dann da rausgeht da und was macht und sich dann wieder überlegt was man gemacht hat eins und eins ist zwei jawohl und im frieden sind die menschen lebendig immerhin kann auch gesagt werden daß andere waschmittel
Weitere Kostenlose Bücher