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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Flagge zeigt das geometrische Sonnensymbol des Dine-Freistaats. Das Gesicht ist in der Dunkelheit nicht zu erkennen, sie hört eine Stimme: »Hy hon, great to see you. What a surprise!« [3]
    »Nelson?«
    Die Figur löst sich in dreidimensionale Pixel auf, eine Staubwolke aus Licht und Wärme bleibt zurück. Amber streckt ihre Hand danach aus, Nelson ist verschwunden, selbst der Energiestaub war eine Illusion. Eine nie gekannte Traurigkeit springt ihr an die Kehle, »Neiiiiiiiiiiin!« will sie schreien, nur ein heiseres Krächzen ist hörbar.
    Huang faßt sie am Handgelenk, checkt ihren rasenden Puls und hält ihr ein gekühltes Grünteegetränk hin.
    Das mit Luftkissen ausgestattete AutoCab braucht nicht die andauernd verstopfte Verrazano-Brücke zu passieren, sondern kann das Meer an einer frei wählbaren Stelle überqueren. Huang verfolgt den zurückgelegten Weg auf der satellitengesteuerten Bildschirmanzeige und tippt mit der Hand auf den Hintereingang des Motelkomplexes. Ein Onkel ist Marketingmanager bei Tropicana, es wird sich etwas arrangieren lassen. Die Kundin scheint nicht in bester Verfassung zu sein, und er hat keine Interesse an einem skandalösen Auftritt in diesem Nobelschuppen. Er schickt Onkel Kang ein kurzes Mail, damit sie gleich in einen der Bungalows einchecken können.
    Amber schließt die Augen und konzentriert sich auf die Bauchatmung. Es geht bereits besser, sie spürt die unaufdringliche Anwesenheit des Mannes neben ihr, die sie beruhigt. Huáng. Dieser Name bedeutet ›gelb‹, steht als Kurzform für den Gelben Fluß, die Wiege der Menschheit in dieser Weltgegend. Huáng kann auch Schwefel, Schilfrohr, Frühling, Kaiser, Angst oder hell heißen. Jedes Wort wird augenblicklich durch ein Bild illustriert, ein schwefelfarbener Wels wühlt sich durch das Lößufer des Gelben Flusses, ein Kaiser in einem roten Seidenmantel spaziert durch einen Wald von sprießendem Schilf, es ist Frühling mit frischen, lauen Winden. Am Himmel explodiert eine hell scheinende Kugel. Amber spürt erneut ein bedrückendes Gefühl und ruft: »Nelson?«
    Das AutoCab fährt auf das Hotelgelände und wird durch das zentrale Computersystem direkt vor den Bungalow Nr. 18 geleitet. Lautlos öffnen sich die Seitentüren, Huang nimmt vorsichtig Ambers Hand und zieht ihren Körper hoch. Er öffnet mit seinem Sensor die Eingangstür, spricht den Sicherheitscode in die Com-Anlage und dimmt die Lichter auf ein beruhigendes Halbdunkel.
    Amber läßt sich in einen Sessel fallen. »Danke«, sagt sie sehr leise.
    »Wie heißt Du?« fragt Huang.
    »Amber … Gemini.«
    Huang schmunzelt: »Hûpò, Bernstein. Die Farbe deiner Haare und Augen, gut gewählt. Somit stehen wir uns nahe. Namen zeigen tiefere Verbindungen auf, nichts an ihnen ist zufällig. Willst du dich schlafenlegen?«
    Er zieht die Überdecke vom Bett und klopft die Kissen auf.
    Amber will wissen, was gespielt wird: »Warum hat Lili dich auf mich angesetzt?«
    Ein Blitzen in Huangs Augen zeigt, daß ihm diese Frage ungelegen kommt. Er zieht sein Jackett aus und wirft es auf Sofa.
    Amber bohrt weiter: »Das Easy in meinem Drink war kein Zufall. Wozu wollt ihr mich bringen?«
    Huang schließt kurz die Augen: »O.K. Ich werde dir sagen, was ich weiß. Draußen.« Denn wer in einem geschlossenen Raum mithören kann, ist nie klar auszumachen.
    Die Sicht von der Veranda gehört zum Schönsten, was die Stadt zu bieten hat. Singas Uferskyline, die phantasievoll gestalteten Hochhäuser, zum Teil mit bunten Haloprojektionen dekoriert, und alles nach den Regeln des Feng Shui [4] angelegt, damit die Himmelsdrachen und die anderen Wesen auf ihren Flugbahnen nicht durch von Menschen geschaffene Barrieren erzürnt werden. Und davor erhebt sich die mit unzähligen Lichtern erleuchtete Verazzano-Brücke, die sich Singa zum 100jährigen Jubiläum geschenkt hatte, als New York nach dem großen Crash gezwungen war, einige seiner Wahrzeichen an die aufstrebenden Metropolen Asiens zu verschachern.
    Huang lehnt sich an eine der Holzsäulen und spricht, mehr zu sich selbst als zu Amber: »Bis vor kurzem war ich Quicksilver, für US-WEB. In Newbang traf ich eine Schwedin, die mich für ihren Clan anwarb. Bessere Bezahlung, attraktivere Arbeitsbedingungen und vor allem …« – Huang stockt und sucht nach Worten – »brauche ich nur das zu tun, wozu ich Lust habe.«
    »Für wen arbeitest du?« hakt Amber nach.
    »Je nachdem, ich bin freischaffend.«
    »Jetzt im Moment?«
    Huang lacht: »Zäh

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