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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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worm.« [5]
    »Welches Frühstück darf ich dir bestellen, Hupo?«
    »Früchte, Croissants und Tee.«
    Huang gibt über die ComAnlage die Bestellung durch und geht duschen. Amber beobachtet ihn aus den Augenwinkeln, er schlendert nackt durch den Raum, selbstbewußt und locker. Eine Drachentätowierung in der linken Nierengegend, eine dunkelviolette Zeichnung auf der kupfernen Haut. Sie hat dieses Signet schon einmal gesehen, bloß wo?
    Huang kommt in einen Seidenkimono gehüllt aus dem Bad, als der Zimmerservice das Frühstück auf der Veranda anrichtet. Aus seinen kurzgeschorenen Haaren fallen Wassertropfen auf den Tisch. Er scheint ausgeschlafen und gut gelaunt. Amber bemerkt, daß er frisch rasiert ist, das Aftershave duftet nach Zimtbaum und Korianderkraut, wahrscheinlich Essence by Wang, das In-Parfüm der kultivierten jungen Chinesen.
    Als Amber die stark riechende Durianfrucht auszulöffeln beginnt, lacht er ihr zu: »Meinetwegen mußt du das nicht tun. Ich kann diese stinkenden Dinosauriereier nicht ausstehen.«
    Amber sieht erstaunt hoch: »Oh, ich mag den süßen Vanillegeschmack. Einer der Gründe, warum ich mich in Singa niedergelassen habe.«
    »Wo wohnst du?«
    »Outram Park.«
    »Seit wann ist das alte Chinesenviertel bei den Joghurts attraktiv? Meine Familie war froh, dort endlich wegzukommen.«
    Amber weiß, wenn Männer nach einer gemeinsam verbrachten Nacht von ihrer Familie und Herkunft zu reden beginnen, wollen sie einen wiedersehen. Das gehört nicht zum antrainierten Smalltalk. Vor lauter Arbeiten und Herumreisen hätte sie das fast vergessen.
    Amber verschwindet im Bad, erkennt im Spiegel ein erstaunlich frisches und lebendiges Gegenüber. Wie die Augen leuchten. Sie macht eine Katzenwäsche und putzt sich die Zähne. Sein Geruch wird das Parfüm auf ihrer Haut sein. Sie schlüpft in ihre Kleider, schminkt sich flüchtig.
    Huang beobachtet sie, wie sie aus dem Bad kommt. Er sieht ihr stumm zu, wie sie ihre Sachen zusammenpackt. Er fragt höflich: »Soll ich dich heimbringen?«
    »Danke, nein«, sagt sie gedankenverloren, als sie die Bungalowtür öffnet. Sie dreht sich nochmals um, Huang sitzt mit ernstem Gesicht am Tisch und nickt ihr zu, etwas Melancholisches in seinem Blick: »See you?«
    »Dàgài.« [6]
    »Nein, sicher!« ruft er ihr nach, holt sie ein und setzt ihr einen fetten Kuß auf die Lippen.
     
    Die Antwort, die sie zu Hause auf ihre vernetzte Suche erwartet, ist äußerst knapp: Die einzige bekannte Verbindung, die alle gesuchten Personen außer Huang haben, ist das gemeinsame Studium an der University of Southern California in Los Angeles, wie New Bangkok vor dem großen Erdbeben hieß, während des Schuljahrs 2064/65.
    Amber ist enttäuscht, denn diese Info war ihr bereits bekannt. Sie hat zu dieser Zeit selbst dort studiert und zumindest vom Sehen her alle gekannt. Einzig Nelson war sie nie über den Weg gelaufen, was ihr bis heute unerklärlich ist. Er war wohl einer der draufgängerischen Charmeure, die sie allesamt eisern ignorierte und denen sie die kalte Schulter zeigte, weil sie sich keine Blöße geben wollte.
    Sie hatte die asiatische Prüderie noch nicht abgelegt und empfand die amerikanischen Männer als frech und belästigend. Wie die einen ansahen, in die Augen und auf die Brüste starrten. Erst allmählich lernte sie, daß das ihre Art war, Komplimente zu machen. Denn sie sagten nie, was sie fühlten. Sie starrten, blieben auf Distanz, um sich dann auf einer bekifften Party auf die Frau zu stürzen, die ihnen gefiel. Amerika war in Ambers Augen während dem ersten Semester ein Barbarenland gewesen. Ein faszinierendes Barbarenland, das sie nachhaltig verändert hat. Oder versaut, wie ihre Familie meint.
    Über Huang ist auch nach mehrmaligen Suchaufträgen nichts herauszufinden, er hat weder Mailadresse noch eine Homepage auf dem Netz. Reichlich unprofessionell für einen Ex-Quicksilver. Oder dann ist er in einer Parallelwelt engagiert, und Huang ist nur ein Übername oder eine Tarnung. Sie könnte bei Leda jederzeit alles über ihn in Erfahrung bringen. Doch genau dies hatten die Geishas wohl beabsichtigt, als sie ihn auf Amber angesetzt haben. Amber wird früher oder später herausfinden, was sie wissen will, mit oder ohne deren Unterstützung. Das Dossier Huang hat im Moment keine Eile, es erhält das Etikett ›gelegentlich‹.
    Sifu hat gemeldet, daß in den letzten Tagen verschiedene Angriffe auf seine Daten gestartet wurden. Es war ihm nicht möglich, den

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