Das Jahr der Maus
berührt sie mit den Fingerspitzen Nelsons Handfläche. Ein warmer Blitz durchzuckt den Arm und fährt direkt ins Geschlecht. Von dort aus prickeln feurige Wellen durch ihren Körper, die an- und wieder abschwellen. Tantraeffekt.
Nelson zieht seine Hand überrascht zurück, als hätte er denselben Stoß empfunden. Er streift ihr mit der Hand über den Arm, was neue Wellen auslöst, feinere diesmal. Nelson bricht in ein unbändiges Gelächter aus: »In meine Arme, schöne Helena.« Er umarmt sie und hält sie fest an sich gedrückt. Amber fühlt sich von einer wohligen Knetmasse umschlossen, die ihren Körper sanft streichelt.
»Nelson, das war nicht ich, das ist die Auswirkung des Feelprogramms LedaSwan. Sei nicht …«
Damit sie nicht weiterreden kann, küßt er sie auf den Mund. Lange und intensiv. Er riecht nach Männerschweiß und draußen Leben. Gar nicht übel, im Grunde genommen.
In diesem Moment hört Amber Sifus Stimme: »6, 5, 4, 3, 2, 1, 0, Countdown abgeschlossen.« Nelson birst in einem Feuerwerk von winzigen Farbplättchen auseinander, die in Sekundenbruchteilen verglühen.
»Alles in Ordnung, Amber?«
»Ja, Sifu. Bitte um schriftliche Analyse des Experiments, codiert und topgeheim.«
Amber streift die Cyberkleidung ab und schmeißt sie ärgerlich durch den Raum. Männer! Ihr gelingt ein historischer Durchbruch in der Cyberkommunikation, und ihr Netzpartner denkt nur an Sex. Sie hätte lieber mit ihm geredet. Über seine Erfahrungen im Marscamp, die Herkunft des Glimmersteins, die Ausflüge in die Umgebung, die beiden Monde, die auf verschiedenen Umlaufbahnen um den Planeten kreisen. Phobos und Deimos. Angst und Panik.
Ein heftiger Windstoß rüttelt an der Balkontür, bläst warme trockene Luft durch den Raum. Wie ein Föhn, der durch die Hügel bläst. Die Santa Ana-Winde, die durch das Aufeinanderprallen der kühlen feuchten Pazifikluft und der heißen trockenen Wüstenluft zustande kommen. Amber hat in solchen Nächten nie sehr gut geschlafen. Der Wind strapaziert ihre Nerven, bringt eine tiefliegende Unruhe hervor. Dasselbe scheint bei den Cojoten der Fall zu sein, die erneut zu heulen begonnen haben.
Die Jetlagpillen, die Leda in den Müll geschmissen hat, hätten sie beruhigt, ihr Schlaf und Vergessen geschenkt. Amber wußte nicht, daß die Geishas derart Wert auf einen gesunden Lebenswandel legen. Vegetarisch, ayurvedisch, biodynamisch. Die reinste Sekte. Und gegen außen tun sie so exzentrisch und kraß. Soll sie da mitmachen? Ihre Unabhängigkeit aufgeben und in die Schwesternschaft eintauchen?
Amber braucht eine körperliche Betätigung, irgend etwas wie Schwimmen, Radfahren oder …
Das Feelprogramm hat sie wider Willen angetörnt. Sie hat sich oft vorgestellt, wie es sich anfühlt, von Nelson berührt und geküßt zu werden. Es war weit besser als erwartet, auch dank der neuen Effekte der Geishas. Wobei sie nicht sicher ist, ob sie einem Nelson-Avatar oder einem 3D-Scan begegnet ist. Eher 3D-Scan, denn ihr Gegenüber schien alltäglich-nachlässig gekleidet, mit Bartstoppeln und ungewaschenen Haaren. Ein Avatar hinterläßt einen viel gestylteren Eindruck.
Amber wählt über die hauseigenen Anlage Huangs Raum an. Nach einer Minute erscheint ein verschlafenes Gesicht auf dem Schirm des Videophons.
»Oh, du bist es. Es ist bereits nach Mitternacht.«
»Huang, ich muß mit dir reden. In Ruhe.«
»Mmmh, klar. Am bestem am Pool, dort sind wir sicher ungestört.« Huang zwinkert mit dem linken Auge und zieht sich ein Hemd über. Das Bild erlischt.
Amber verläßt ihr Zimmer über die Veranda, sie tastet sich Schritt für Schritt durch die Dunkelheit den schmalen gewundenen Weg entlang. Trotz äußerster Vorsicht stößt sie gegen die harten dornigen Spitzen einer Yuccapflanze, die sich in ihr Bein bohren. Der Schmerz ist derselbe, wie wenn sich die Krallen einer Katze in die Haut graben.
Als sie beim Schwimmingpool ankommt, wartet Huang auf sie. Er schreitet ihr gemächlich entgegen und spricht mit leiser Stimme vom beeindruckenden Ausblick in den Sternenhimmel.
Amber richtet die Augen nach oben, er hat recht: Die Wölbung der Himmelskuppe ist übersät mit glitzernden Punkten. Sie gesteht sich ein, daß sie zunehmend Mühe hat, ihn richtig einzuschätzen. Ist er ein linientreuer Angestellter der Geishas oder kocht er sein eigenes Süppchen? Apportiert er brav die ihm enthüllten Geheimnisse seiner Meisterin? Oder arbeitet er gar für einen anderen Clan?
Wer einmal Quicksilver
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