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Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilson Tucker
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erinnern, daß die Ausgangssperre in Joliet ab achtzehn Uhr gilt. Sie müssen die Stadt bis sechs Uhr abends verlassen oder, wenn dies nicht möglich ist, dort übernachten.«
    »Sechs Uhr abends«, wiederholte Chaney. »Ich werde dran denken. Gilt das auch für Chicago?«
    »Ja, Sir.« Der Offizier starrte ihn an. »Aber seit dem Mauerbau können Sie nicht mehr von Süden nach Chicago hinein. Wollen Sie dorthin, Sir? Dann muß ich Ihnen eine Eskorte mitgeben.«
    »Nein, nein, ich will nicht nach Chicago. Ich … ich war nur neugierig.«
    »Ganz recht, Sir.« Er nickte einem Wachposten zu, der das Tor öffnete. »Sechs Uhr abends, Sir.«
    Chaney fuhr davon. Aber er konnte sich nicht auf die Straße konzentrieren.
    Diese Warnung des Offiziers schien zu bedeuten, daß eine Voraussage des Indic-Berichts richtig gewesen war: Die Großstädte hatten entschlossene Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung ergriffen, und es war anzunehmen, daß viele strikte nächtliche Ausgangssperren erlassen hatten. Fremde mußten zusehen, daß sie rechtzeitig ein Hotel fanden, bevor die Ausgangssperre abends in Kraft trat. Aber die Mauer in Chicago, von der der Offizier gesprochen hatte, machte Chaney Kopfzerbrechen. Sie war weder vorausgesehen noch empfohlen worden. Was für einen Zweck hatte sie? Chicago war eine unruhige Stadt, seitdem sich die Einwanderung aus dem Süden in den fünfziger Jahren verstärkt hatte – aber eine Mauer?
    Chaney erreichte die U 66 und hielt an dem Stoppschild. Der Verkehr war geringer als erwartet. Auf der anderen Straßenseite parkte ein Streifenwagen der State Police. Der Uniformierte warf einen Blick auf Chaneys Kennzeichen und betrachtete dann sein Gesicht. Chaney nickte ihm zu und fuhr an. Der Streifenwagen folgte ihm nicht.
    Ein zweiter Streifenwagen stand in den Außenbezirken der Stadt, und Chaney sah überrascht, daß auf dem Rücksitz zwei bewaffnete Nationalgardisten saßen. Sie hielten Gewehre mit aufgepflanzten Bajonetten zwischen den Knien. Auch diesmal wurden das Nummernschild und Chaneys Gesicht prüfend angestarrt.
    »Ehrlich, ich fange keine Revolution an!« sagte Chaney vor sich hin.
    Die Stadt wirkte beinahe normal.
    Chaney fand einen Platz auf dem Parkplatz in der Stadtmitte und stellte fest, daß die Stunde Parkzeit inzwischen einen Dollar kostete. Er steckte widerwillig vier Quarter in die Parkuhr. Ein alter Mann, der den Gehsteig vor einem Laden kehrte, zeigte ihm den Weg zur Stadtbibliothek.
    Er stand auf der Treppe und mußte einige Minuten warten, weil die Bibliothek erst um neun Uhr geöffnet wurde. In dieser kurzen Zeit fuhren zwei Streifenwagen der Stadtpolizei auf der Straße vorbei. Neben dem Fahrer saß jeweils ein bewaffneter Nationalgardist. Die beiden starrten Chaney, den alten Mann mit dem Besen und alle Passanten mißtrauisch an.
    »Guten Morgen«, sagte die Bibliothekarin im Lesesaal. »Die Zeitungen sind noch nicht fertig.«
    Sie mußten abgestempelt und in die Zeitungshalter geklemmt werden. Chaney entzifferte eine auf dem Kopf stehende Schlagzeile: KEINE KAUTION FÜR VSC.
    »Danke, ich habe Zeit«, versicherte Chaney ihr. »Ich hätte gern die neuesten Jahrbücher der Ministerien für Handel und Landwirtschaft. Und die Kongreßsitzungsberichte der letzten Wochen.« Er wußte, daß Saltus und der Major Zeitungen kaufen würden, sobald sie nach Joliet kamen.
    »Alle Regierungsveröffentlichungen stehen dort drüben in Gang zwei. Finden Sie sich allein zurecht?«
    »Bestimmt«, antwortete Chaney. Er fand, was er suchte, und setzte sich damit an einen der Tische.
    Im Abgeordnetenhaus wurde eben ein neues Steuerreformgesetz beraten. Chaney grinste unwillkürlich, als er sah, daß diese Sitzung drei Wochen vor den Wahlen stattgefunden hatte. Die Debatten schienen sich endlos lange hinzuziehen, weil eine Handvoll Abgeordneter aus den Staaten mit Erdöl- und Mineralvorkommen gegen einige Vorschläge protestierte, die angeblich einer Bestrafung jener Pioniere gleichkamen, die Kapital riskierten, um neue Lagerstätten suchen zu lassen. Der Gentleman aus Texas erinnerte seine Kollegen daran, daß viele Ölfelder im Südwesten bereits erschöpft waren, während die in Alaska erst in zehn Jahren genügend Öl liefern würden. Er sagte eine gefährliche Öl- und Benzinknappheit voraus und erinnerte gleichzeitig daran, daß es nicht gelungen war, die Versorgungslücke auf dem Energiesektor durch billigen Atomstrom zu schließen.
    Der Gentleman aus Oregon stellte den Antrag, das

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