Das Jahr der stillen Sonne
Saltus ihm.
»Betrifft es mich? Meine Arbeit?«
»Nein, Sie haben nichts damit zu tun, aber ich möchte trotzdem, daß Sie den Mund halten. Ich melde es nämlich auch nicht. Es muß unter uns bleiben.«
»Gut, dann bleibt es unter uns.«
»Ich war im Gerichtsgebäude und habe das Eheregister durchgeblättert«, fuhr Saltus fort. »Ich habe die gesuchte Eintragung im März gefunden – also vor acht Monaten.« Er grinste. »Ich habe im März geheiratet.«
Chaney mußte sich beherrschen, um ruhig zu fragen: »Katrina?«
»Die schöne Katrina. Mister, ich bin ein verheirateter Mann! Stellen Sie sich vor, ich bin Mädchen nachgelaufen und mit einem zum Essen gegangen. Wie soll ich das meiner Frau erklären?«
Brian Chaney wandte sich ab, damit Saltus nicht seinen Gesichtsausdruck beobachten konnte; er hatte das Gefühl, der andere könne auf seinem Gesicht lesen, was er in diesem Augenblick empfand, und wollte keine Erklärung oder Ausrede erfinden müssen. Er hängte die warme Jacke weg, die er draußen getragen hatte, und legte die Geheimkamera auf die Werkbank zurück. Auch das Tonbandgerät blieb dort, nachdem er die letzte Kassette herausgenommen hatte. Zuletzt steckte Chaney noch die Ausweiskarte und den Personalausweis in den aufgerissenen Umschlag und ließ ihn neben dem Tonbandgerät liegen.
Saltus hatte die letzte Seite fotografiert und nahm den Film aus der Reproduktionskamera. Chaney legte die Zeitungen ordentlich zusammen. Dabei fiel sein Blick auf die vertraute Schlagzeile: KEINE KAUTION FÜR VSC.
»Wer ist dieser VSC?« fragte er Saltus. »Was hat er angestellt?«
Der Korvettenkapitän starrte ihn ungläubig an. »Verdammt noch mal, Zivilist, was haben Sie eigentlich dort draußen getan?«
»Ich habe mich nicht um die Zeitungen gekümmert.«
Saltus schüttelte den Kopf. »Sind Sie blind, Mister? Warum wird die Stadt Ihrer Meinung nach von Polizisten kontrolliert? Wie erklären Sie sich den Nationalgardisten in jedem Streifenwagen?«
»Ich dachte, das hänge mit dieser Sache in Chicago zusammen … mit der Mauer.«
»Blödsinn!« Arthur Saltus schlug ungeduldig mit der flachen Hand auf die Zeitungen. »Ich will Sie nicht beleidigen, Mister, aber ich habe manchmal das Gefühl, als hätten Sie Ihren Elfenbeinturm in Indiana noch gar nicht verlassen. Sie wissen offenbar nicht, was in der Welt vor sich geht, weil Ihre Nase noch immer in den Büchern steckt. Augen auf, Chaney!, Wachen Sie endlich auf, Mann, bevor es zu spät ist!« Er deutete auf den Zeitungsstapel. »Ganz Amerika steht unter Kriegsrecht. VSC sind die Vereinigten Stabschefs – General Grinnell, General Brandon und Admiral Elstar. Sie haben einen Staatsstreich versucht, der aber fehlgeschlagen ist.«
Chaney starrte ihn an. »Die Militärs wollten die Macht an sich reißen?«
»Genau! Sie sind ins Weiße Haus marschiert, um den Präsidenten und den Vizepräsidenten festzunehmen; sie wollten die Regierung mit Waffengewalt absetzen. Unsere Regierung, Mister! Solche Meldungen kennt man aus Südamerika – aber das ist hier in unserem eigenen Land passiert! Ist Ihnen überhaupt klar, was das bedeutet?« Er machte eine Pause und sprach dann ruhiger weiter: »Nichts für ungut, Mister. Ich hätte nicht so explodieren dürfen.«
Chaney hörte nicht mehr zu. Er blätterte die Zeitungen durch, bis er einen ausführlichen Bericht über den mißglückten Staatsstreich gefunden hatte.
Alles hatte sich nicht im Weißen Haus, sondern in Camp David, dem Landsitz des Präsidenten, abgespielt.
Am Montagabend, dem Vorabend der Wahl, war im Gebiet um Camp David kurz vor Mitternacht der Strom ausgefallen. Der Präsident hatte seine letzte Wahlrede gehalten und war auf seinen Landsitz geflogen, um sich dort von den Strapazen des Wahlkampfs zu erholen. Da die Notstromversorgung nicht funktionierte, blieb es in Camp David dunkel. Die zweihundert Wachsoldaten bezogen daraufhin vorbereitete Stellungen in der Nähe der Gebäude, in denen sich der Präsident und der Vizepräsident mit ihren Beratern aufhielten. Ein Rückzug in die unterirdischen Schutzräume wurde für überflüssig gehalten, weil nichts auf einen feindlichen Angriff hindeutete. Admiral Elstar gehörte zu den Beratern des Präsidenten und sollte mit ihm über zukünftige Operationen im Südchinesischen Meer sprechen.
Eine halbe Stunde nach dem Stromausfall fuhren die Generäle Grinnell und Brandon vor und wurden eingelassen. Auf General Grinnells Befehl machten die Soldaten kehrt
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