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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Schluckbewegungen, Flackern in den Augen.
    Ein Schwarzhaariger, dessen fein gestutzter Oberlippenbart sich an beiden Seiten bis zum Kinn hinunterzog, fragte scheinbar gelangweilt: »Glaubst du denn, davon sei noch was vorhanden?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß auch gar nicht, ob ich mich wirklich mit den beiden Rockern anlegen möchte.«
    »Das wäre kein Problem«, sagte der Schwarzhaarige mit einer Bestimmtheit, die für einen Moment Hoffnung in mir weckte. Doch erst mal wurde das Thema beiseite geschoben, denn der Silberhaarige ergriff souverän das Wort, wobei er mich nachdenklich ansah. »Vielleicht hab ich’n Job für dich. Machst ja’n ganz passablen Eindruck. Morgen um die gleiche Zeit kann ich dir sagen, ob’s hinhaut.«
    »Hört sich gut an. Würde mich freuen, wenn’s klappen sollte.« Von dem Alten blickte ich kurz auf die anderen. Nach ihren Mienen zu urteilen, schienen sie von meiner Reaktion ein wenig enttäuscht zu sein. Hatten wohl mit einer stärkeren Dankbarkeitsbezeugung gerechnet. Wahrscheinlich war es eine Ehre, fast schon eine Auszeichnung, von der Silbertolle einen Job in Aussicht gestellt zu kriegen. Kam natürlich auf den Job an. Erst mal scheißegal, ich hatte jetzt einen Fuß in der Tür, vielleicht auch bald einen Spitznamen, was in dieser Szene einem Adelsprädikat entsprach. Ein paar spontane Vorschläge flogen durch mein Hirn, etwa
Knochenbrecher-Brecher, Zwei-Personen-Puff-Hans, Araber-Hansi
oder gar
Todesengel
, aber darauf hätte ich ohnehin keinen Einfluss und würde mich auch nicht wundern, wenn sie sich beispielsweise auf
Bockmist-Hansi
einigen sollten.
    Es wurde noch richtig gemütlich. Der Silberrücken ließ sich nicht lumpen und gab mehrere Runden aus, die Porno-Schauspieler schaufelten sich Kokain in die Nase und ließen sich mühelos zu einer Kostprobe ihrer Kunst überreden, ein 1956 aus Ungarn geflüchteter Csárdás-Geiger, der nach frustrierendem Tingeln durch circa zwanzig Lokale sein Feierabend-Bier trinken wollte, wurde aufgefordert, das Instrument noch einmal auszupacken, was er ohne Umschweife tat. Den Bogen mit Hingabe über die Saiten streichend, ließ er csárdásmäßig die Geige schluchzen, trieb damit auch prompt die eine oder andere Träne in so manches Auge und wurde danach mit Geld, na ja, nicht gerade zugeschüttet, aber doch recht ordentlich beworfen.
    Hein und Antje – er mit Schifferklavier, sie mit zittriger Singstimme irgendwo zwischen Alt und Sopran – hatten ebenfalls ihre Tour durch die Kneipen beendet und gaben hier noch mal alles. Ich beteiligte mich höflicherweise am Applaus, obwohl Seemannslieder normalerweise den Fluchtreflex in mir aktivierten.
    Der Alte hieß übrigens Berti Drossel. »Der Name passt überhaupt nicht zu dir«, lallte ich ihm, inzwischen dank Whiskey und anderer, zum Teil unbekannter Getränke, recht entspannt ins Ohr. »Das klingt so drollig, weißt du.«
    In Bertis Gesicht erkannte ich trotz meiner Betrunkenheit das ganze Spektrum seines Wesens, die latente Rücksichtslosigkeit, Brutalität und Gier, Paranoia, gepaart mit Einsamkeit, Verschlagenheit und Egoismus – sowie eine in diesem Moment auf mich bezogene Nachsichtigkeit, na Gott sei Dank, denn schon während ich das Wort
drollig
ausgesprochen hatte, war mir unwohl gewesen. Er tätschelte so gutmütig wie dominant meinen Nacken. Sein Grinsen ähnelte dem eines Krokodils. »Du glaubst also, ich sei, im Gegensatz zu meinem drolligen Namen, alles andere als drollig? Ich kann verdammt drollig sein. Aber nur, wenn ich mit mir allein bin, zum Beispiel auf dem Scheißhaus. Grundsätzlich möchte ich das Wort
drollig
, so weit es mich betrifft, nicht hören, weil einer in meiner Position niemals in den Verdacht geraten darf, drollig zu sein. Hast du das verstanden, Junge?«
    Ist der Typ genauso besoffen wie ich?, rätselte ich, nickte aber klugerweise, kramte hektisch in meinem Wortschatz und fischte ein paar verwendungsfähige Wörter heraus, die ich jetzt nur noch irgendwie sinnvoll miteinander verknüpfen musste. Das dauerte eine Weile, deshalb nickte ich erneut, den Denkprozess dadurch geschickt verschleiernd, aber diesmal, wie ich hoffte, nachdenklich und tonnenschwer. Dann stieß ich die grob zusammengezimmerten Sätze aus, und sie kamen mir sofort wie Dünnschiss vor, war mir aber scheißegal, weil ich einfach zu viel gesoffen hatte. »Voll verstanden«, lallte ich. »Geht klar. Drollig nur allein, auf’m Scheißhaus oder so. Ich bin nie drollig, wenn ich allein

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