Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
Vom Netzwerk:
Arbeit in Deutscheland gut. In Türkei wenig Arbeit. Du und Bülent Freund?«
    Nach kurzem Zögern nickte ich und sagte: »Ja, Bülent mein Freund.«
    »Dann Tee. Komm rein.«
    Wir tranken Tee, den uns eine Frau lächelnd, aber stumm servierte, aus bauchigen Gläsern, pusteten auf das heiße Getränk, schlürften, grinsten uns verklemmt an, jeder Gesprächsversuch zerschellte zwangsläufig schnell an der berüchtigten Sprachbarriere. Dennoch gefiel mir diese Begegnung. Ich sah in ein offenes Gesicht, der Ausdruck in den Augen des Türken unterschied sich so diametral von den immerzu wachsamen, berechnenden, zynischen Blicken meiner neuen Freunde, dass mich Rührung überflutete. Ich hätte den Mann am liebsten umarmt, ihm segnend eine Hand auf die fettigen Haare gelegt und so was Unüberlegtes und sowieso Falsches wie ›alles wird gut‹ gemurmelt, nahm aber, dank der Verklemmtheit und dank meines saumäßigen körperlichen Zustands, Abstand von emotionalen Exzessen jeglicher Art. Da mir nichts Besseres einfiel, lobte ich den Wandteppich, auf dem die türkische Variante des röhrenden Hirschs zu sehen war, das Kamel mit Palme. Daraufhin erhob sich Herr Gürsel augenblicklich, wollte das Kunstwerk abhängen und mir schenken. Ich konnte es nur mit Mühe verhindern. Nach dem dritten Tee rebellierte mein Magen und ich verabschiedete mich ein wenig überhastet, doch immer noch im Rahmen des Anstands.
    Nette Leute, dachte ich, nachdem mein dürftiger Mageninhalt in mein modriges Klo geplätschert war. Es erstaunte mich nicht einmal. Früher wäre es mir nicht so leicht gefallen, Leute aus einem so fremden Kulturkreis auf Anhieb nett zu finden. Vorurteile hegte ich zwar immer noch – das fiel mir hin und wieder auf –, doch in den letzten Wochen war diese scheinbar schützende Mauer morsch geworden, Risse waren entstanden und hatten sich schnell verbreitert. Zum Beispiel das plumpe
Knoblauchfresser
-Argument, früher eine meiner schärfsten Waffen gegen Fremde, hatte sich in Luft aufgelöst, seitdem ich bei den Griechen im Viertel ständig Unmengen an Knoblauch vertilgte und den Geruch vermutlich ausdünstete, was absolut undeutsch war. Sie hausen in verdreckten Löchern, weil sie in Anatolien wegen der Armut und des Wassermangels nichts anderes kannten, hatte ich, nicht einmal abfällig, sondern lakonisch, mit einem gewissen Verständnis, gedacht. War natürlich derselbe Blödsinn. Die Gürsel-Wohnung: tiptop. Das ganze Haus ansonsten: ein Dreckstall. Weil der deutsche Hausbesitzer das Gebäude verkommen ließ. Sprechen unsere Sprache nicht. Das traf im Fall des Ehepaars Gürsel allerdings zu. Dafür sprach Bülent ein besseres Deutsch als die auf ihr Deutschsein so stolzen deutschen Gäste in der deutschen Kneipe von neulich, deren deutsche Küche noch beschissener war als die Küchen, in denen selbst Köche wie ich geduldet wurden.
    Auf jeden Fall nahm ich mir vor, mich von der Millionen zählenden Masse der xenophoben Deutschen zu lösen. Einer der vier Gangster von gestern war ja auch ein Ausländer, ein sehr selbstbewusster Kolumbianer, der im Gegensatz zu seinen Kumpels nicht nur teuer, sondern überdies dezent gekleidet war und über perfekte Manieren verfügte. Es gelang ihm nicht immer, die Primitivität seiner deutschen Freunde zu ignorieren, doch sein Spott schwebte so fein dosiert über der Runde, dass er kaum erkennbar war. Manuel. Hatte gestern reichlich Kokain verstreut, das heißt, zu Linien geformt – und dann demonstriert, wie man eine solche Linie durch einen zusammengerollten Geldschein in die Nase saugt. Alle möglichen Leute hatten sich den weißen, kristallin glitzernden Stoff in die Nase ziehen dürfen – allerdings, schon wegen der Hygiene, mit ihren eigenen Scheinen. Leo, völlig abgebrannt, hatte mich verstohlen beiseite genommen und verschämt um einen Zehner gebeten; er hatte gemurmelt, man sei schnell als Verlierer gebrandmarkt, selbst wenn man ausnahmsweise sein Geld zu Hause vergessen habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits gewusst, dass Leo sozusagen der Prototyp des Verlierers war und dass die anderen das auch längst wussten.
    Kokain, hatte Manuel im Stil eines Handelsvertreters gesäuselt, sei das Geschäft der Zukunft, in Amerika würden damit seit einigen Jahren enorme Gewinne erzielt. Die Droge der Erfolgreichen, der Kreativen, ein angesagtes Produkt mit einem im Gegensatz zur Loser-Droge Heroin äußerst positiven Image, relativ teuer und deshalb nicht für jeden Hans und

Weitere Kostenlose Bücher