Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
bin. Komisch, was? Aber scheiß drauf. Wenn ich eine Bank überfalle, kann ich sehr drollig sein. Im Ernst. Vor einigen Monaten hab ich so ’ne lausige Scheißbank in einem verschissenen Kaff bei Friedberg überfallen. Kein Scheiß, is wahr. Ich sag dir, das war drollig. Der Arsch hinter der Panzerglasscheibe hat sein Frühstück ausgepackt und gesagt, ich soll die Geisel erschießen. Ich hatte nämlich eine Geisel, weißt du. Die widerlichste Geisel, die man sich nur vorstellen kann, der Alptraum jedes Geiselnehmers. War ja klar, dass ausgerechnet ich den Drecksack als Geisel sozusagen zugewiesen bekam, von wem auch immer. Ich bin ja nicht religiös. Wenn du eine Geisel hast, Berti, eine marxistisch inspirierte Geisel, die von dir aus politischen Gründen erschossen werden will, dann hast du, metaphorisch gesprochen, verdammt schlechte Karten. Ich sag dir, ich hätte den Wichser gern umgelegt, schon weil er mir das Ding vermasselt hat, aber ich bin einfach zu freundlich.« Ein Lachanfall schüttelte mich, ich schlug mir auf die Schenkel, Bertis erstaunt-belustigten Blick ignorierte ich. Erst als sich sein Schmunzelgesicht wohlmeinend meinem Suffgesicht näherte, nahm ich meine Umwelt wieder einigermaßen wahr.
Ich sah Bertis brutal-sinnlichen Mund vor mir und konnte sogar die daraus quellenden Laute als menschliche Äußerungen identifizieren. »Mit dir hab ich anscheinend einen ganz besonderen Fang gemacht.«
Das gefiel mir, das gehörte nach meiner Meinung schon in die Abteilung Kuscheln, Liebeserklärung und so. Begeistert klatschte ich meine Hand auf Bertis Rücken, lachte gerührt und krähte: »Darauf kannst du einen lassen, du drollige Drossel, auch wenn du hier nicht drollig sein willst, ich meine, hier, in der Öffentlichkeit, der verschissenen.«
Berti nahm’s mir nicht krumm.
Dieses Sägewerk im Kopf. Baumstamm um Baumstamm, zum Glück schon entrindet, wurde von gottverdammten Zwergen hinter meinen Schläfen zersägt, offenbar ohne Pause, Akkordarbeiter, knüppelhart und verbissen, rastlos bis zum Ende. Und diese Säger, die in einem menschlichen Körper – denn es ging ja beileibe nicht nur um den Kopf – dermaßen ranklotzten, waren natürlich obendrein mit einer überdurchschnittlichen Portion Sadismus ausgestattet, denn anders konnten, meiner Meinung nach, selbst perspektivlos in menschlichen Körpern hausende Zwerge dieses Pensum nicht bewältigen.
So besoffen war ich lange nicht mehr gewesen. Mein Gedächtnis streikte. Dabei hätte ich zu gern gewusst, wie ich nach Hause gekommen war.
Da war doch was gewesen. Irgendwas mächtig Unangenehmes.
Plötzlich Erinnerungsfetzen, sekundenschnelle Bildsequenzen. Die Junkies. Irgendwas war mit den Junkies gewesen. Dreckpack, verdammtes – ach ja, genau, sie hatten mir die Fresse polieren wollen. Und dann? Oh, schön, das Bild wurde klarer, wie bei einem Fernseher, dessen Antenne in die richtige Lage gedreht worden war. Der junge Türke, Bülent, der hier im Haus wohnte, war gerade von einer Geburtstagsfeier gekommen, als guter Moslem natürlich stocknüchtern, mein Retter. Ich erinnerte mich an die blitzschnellen, trockenen Schläge, mit denen er die Wegelagerer von den Füßen gewischt hatte. Karate oder so was. Der gute alte Bülent. Na, was heißt alt, höchstens achtzehn schätzte ich. »Die Typen hasse ich«, hatte er gesagt, nicht sehr laut, aber es war mir vorgekommen, als hätten die Wörter im Treppenhaus ein Echo erzeugt. »Sie wohnen auf unserer Etage, haben sich tausend Sachen von uns geliehen, haben uns nie etwas zurückgegeben, und damit meine ich nicht einmal das geliehene Zeug, nein, sie sind nicht in der Lage, überhaupt etwas zu geben. Nur wenn sie etwas von dir wollen, sind sie freundlich, aber es ist keine echte Freundlichkeit, verstehst du?«
Ich erinnerte mich, dass ich, erschöpft auf der Treppe sitzend, mit Bülent eine Zigarette rauchend, zu ihm gesagt hatte, ich hätte mich vor einigen Stunden bei einem Gangsterboss als freundlicher Mensch bezeichnet und das sei ein verdammter Fehler gewesen, weil die meisten Gangster freundliche Menschen für Idioten hielten, sozusagen als geistig Behinderte einstuften. Und das Wort
drollig
sei absolut tabu. Ein Gangsterboss, den man als drollig bezeichne, fühle sich schwerstens beleidigt.
»Du bist betrunken«, hatte Bülent gesagt, mit Besorgnis und Mitleid in der Stimme, was mich verärgert hatte, aber nur ein wenig, nicht genug, um mich groß aufzuregen, außerdem war ich ohnehin
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