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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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zu erledigt, um mich noch groß über irgendwas echauffieren zu können.
    »Weißt du nicht, dass Alkohol eine Waffe des Teufels ist? Du musst unbedingt davon loskommen. Es würde mich freuen, wenn dir das gelingen würde. Du bist ein netter Mensch, das weiß ich, schon weil du mich und meine Familie immer freundlich und mit Respekt grüßt.«
    Was hatte ich darauf geantwortet? Mir fiel wieder ein, welchen Unrat ich von mir gegeben hatte: »Bülent, mein Lieber, ich darf gar nicht freundlich sein, weil freundliche Bankräuber drollig sind, was wiederum ihrem Ruf schadet, und außerdem muss ich trinken. Und weißt du, warum? Nein, weißt du nicht. Woher denn auch. So gut kennen wir uns ja nicht. Ich sag’s dir im Vertrauen. Vor meinen Augen sind drei Menschen erschossen worden, mein Freund hat sich von einem Turm gestürzt, mein früherer Arbeitgeber hat seiner Frau mit einer Schrotflinte das Gesicht weggeblasen, außerdem hat mich der Kassierer der Bank, die ich ausrauben wollte, aufgefordert, die Geisel zu erschießen. Ich hatte nämlich eine Geisel, weißt du, die beknackteste Geisel, die man sich denken kann; die Geisel wollte von mir erschossen werden. Und dann meine Freundin. Hat einfach ihr Domina-Studio und mich verlassen. So sieht’s nämlich aus, Bülent, und deshalb bin ich froh, dass es überall guten Bourbon zu kaufen gibt.« Dann hatte ich, so viel ich weiß, wie ein Irrer gelacht, das Treppenhaus saugemütlich gefunden und meinen Retter ermuntert, mir alles über die Türkei, die Türken und den aktuellen Stand der Ausgrabungen in Troja zu erzählen. Bülent hatte jedoch so demonstrativ gegähnt, dass sogar ich diesen Hinweis verstanden hatte. Herzliches Händeschütteln, dann war er, vermutlich ganz schön irritiert, in der überbelegten Türkenwohnung verschwunden.
    Unter der Dusche fühlte ich mich gleich besser, wenn auch noch längst nicht entgiftet. Unmengen Kaffee, Zigaretten und Aspirin. Die Kopfschmerzen blieben zwar, doch in meinem Gehirn hatte bereits das große Aufräumen angefangen, die Gedanken konnten geordnet werden.
    Also Drossel, Berti Drossel. Die wichtigste Bekanntschaft der letzten Nacht. Ein unangenehmer Zeitgenosse mit viel Kohle, mit Beziehungen, hatte Jobs zu vergeben, zahlte gut, wie mir Leo versichert hatte. Ich brauchte einen Job, der mehr einbrachte als die Arbeit in einer miesen Küche. Momentan wünschte ich mir allerdings nur, dass die Zeit die nächsten zehn Stunden in zehn oder meinetwegen auch zwanzig Minuten zurücklegen würde, damit ich erstens den Kater hinter mir hätte und zweitens dann schon wüsste, um welchen Job es ging. Irgendwas mit Autos, vermutete ich, wohl kaum ein Bankraub. Selbstironisch grinste ich vor mich hin. Ein Banküberfall kam für mich zwar nicht mehr in Frage, aber die Groteske in Reichelsheim hätte ich Berti trotzdem nicht erzählen sollen. Wie der mich wohl einschätzte? Angelogen hatte ich ihn ja eigentlich nicht, von ein paar Kleinigkeiten abgesehen, nein, das war nicht das Problem. Ich hatte ihm viel zu viele Wahrheiten mitgeteilt, hatte gequasselt wie der Aal-Verkäufer auf dem Fischmarkt. Sozusagen Sprech-Durchfall. Nicht alle Gangster waren so wortkarg wie der von Alain Delon in
Der eiskalte Engel
gespielte Killer, na klar, der war ja total stilisiert, aber Sprech-Durchfall gehörte keinesfalls zu ihren Eigenschaften. Wahrscheinlich soll ich irgendwas mit dem Auto transportieren, dachte ich, oder sein Auto waschen. Mein Kichern driftete in Richtung Selbstironie, wehte jedoch darüber hinweg und zersplitterte an der Wand der Verzweiflung.
    Schwerfällig stieg ich die Treppe hinunter und drückte den Klingelknopf, über dem der Name Gürsel stand. Zwei Riegel – oder gar drei? – wurden zurückgeschoben, und ich fragte mich, welche Erfahrungen die Bewohner zum Anbringen mehrerer Riegel bewogen hatten. Ein älterer Mann, der mich stets freundlich grüßte, erschien – Bülents Vater. Ich fragte nach seinem Sohn und dass ich mich bei ihm bedanken wolle. Während ich wortreich die Szene im Treppenhaus schilderte, stellte ich zu meinem Bedauern fest, dass der deutsche Wortschatz meines Zuhörers sehr bescheiden, um nicht zu sagen, beschissen war. Jeder halbwegs ausgeschlafene Papagei hätte die paar Wörter in drei, vier Wochen draufgehabt. Ich wurde, offen gesagt, leicht melancholisch, als mir auffiel, dass der Türke dem Wort
Arbeit
einen so hohen Stellenwert zumaß. »Bülent Arbeit. Arbeit gut. Muss Arbeit. Nix Arbeit, nix Geld.

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