Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
jedem Mann ein potentieller Killer? Auf jeden Fall. Die meisten Männer beherrschen sich glücklicherweise, gehen bedrückt ihrer Arbeit nach, verkriechen sich achselzuckend in albernen Hobbys und pflegen verbissen ihre Neurosen. Die anderen, gierig und, einer Feuerwerksrakete gleich, zum kurzzeitigen Leuchten bestimmt, haben ihre Skrupel beizeiten über Bord geworfen und die ganze Welt zur Wildnis erklärt, in der nur der Harte bestehen und sich durchsetzen kann. Dann sind da noch die labilen Typen, solche wie ich, die sich von den Knallharten angezogen fühlen, ihren Zynismus verschämt bewundern und ihre Anerkennung als Ritterschlag missverstehen.
Verdammt, ja, so war es. Wohlige Schauer, als Berti Drossel seinen Arm auf meine Schultern legte, blubbernde Emotionen, ein Gemisch aus befriedigtem Bedürfnis nach Anerkennung, spontaner Selbstverliebtheit und plötzlicher Zuneigung zu allen Anwesenden.
Der primitive Berti Drossel, dachte ich im Nachhinein, hat alles, was einer wie ich ersehnt: Ansehen, Macht, Mietshäuser in Altona, Villa in Großhansdorf, Finca auf Mallorca, fährt einen Jaguar und überlegt, ob er sich einen Bentley mit Chauffeur zulegen soll. Zudem durch und durch Familienmensch. Seit über dreißig Jahren mit derselben Frau verheiratet, zwei erwachsene Töchter, drei Enkelkinder, keine Geliebte. Natürlich schiebt er ab und zu seinen Schwanz in eine Nutte, damit jeder weiß, dass er ihn noch hochkriegt, doch darüber hinaus läuft gar nichts.
Das hatte Atze, der Schwarzhaarige mit dem dünnen, bis zum Kinn reichenden Oberlippenbärtchen, ganz vertraulich erzählt. Atze war so ’ne Art Subunternehmer für Berti, kriegte von ihm Aufträge, arbeitete auf eigene Rechnung und drückte an Berti die vorher ausgemachte Summe ab. Berti sei großzügig, hatte Atze mir zugeraunt, man komme stets auf seine Kosten, aber alles habe perfekt zu funktionieren. Keine Ausreden. Die Kohle müsse termingerecht abgeliefert werden, egal, ob die Sache geklappt habe oder nicht. Das Risiko des Subunternehmers. Atze sah nicht so aus, als hätte er mit den Aufträgen Schwierigkeiten.
»Was für Aufträge?«, hatte ich, die treudoofe Art vortäuschend, gefragt. Hinter Atzes amüsierter Miene hatte Granit geschimmert. »Solche Fragen beantworte ich nicht mal meiner Lieblingsfotze. Und die weiß verdammt viel über mich.« Selbstverliebtes Grinsen, doch nicht fett genug, denn ich hatte hindurchsehen können, durch die Schminke des narzisstischen Grinsens hindurch, und in den Abgrund seiner vulgären und im Grunde leeren Welt geblickt.
Sie saßen bereits an ihrem runden Tisch. Unsicherheit ließ sich, klebrig wie ein Spinnennetz, auf mir nieder. Im Stillen verfluchte ich mich, weil ich am Vorabend so unkontrolliert gesoffen und vermutlich einen Haufen Scheiße gelabert hatte; keine Ahnung, was ich an Sprachmüll abgesondert hatte, auf jeden Fall hätte es mich nicht überrascht, wenn mich die anderen seitdem für einen Trottel hielten. Ich kannte mich ja ein wenig – und mir gefiel weiß Gott nicht alles an mir. In besoffenem Zustand neigte ich zum Zerfließen, wie ein reifer Camembert in einem überheizten Zimmer oder so ähnlich, und kaum wurde ich in geselliger Runde weich, erblühte ein schwammiges Harmoniebedürfnis, und kurz darauf kamen mir auch die Arschlöcher um mich herum flauschig-weich vor, alles war wohlig angenehm, und schon drückte mir die wiedererweckte Sehnsucht nach Verständnis und vielleicht sogar Erlösung oder wenigstens Rettung aus einer üblicherweise beschissenen Lage einen Schwall von Silben, Wörtern, Sätzen aus dem Maul, persönliche Scheiße, Offenbarungen, oft genug auf die weinerliche Art – und diese Ausbrüche, ohnehin peinlich genug, wurden nicht selten von Phasen der Albernheit unterbrochen oder abgelöst, und dann fand ich es leider zum Brüllen komisch, in meinen Drink zu rotzen und den Schleimklumpen zu schlürfen und beifallheischend als »Auster des kleinen Mannes« zu bezeichnen. Sehr witzig. Zu allem Überfluss beherrschte mich anschließend oftmals der Drang, alle erreichbaren Leute zu kitzeln, meine Scheiß-Finger flink über fremde Rippen und Taillen krabbeln zu lassen.
Habe ich Berti Drossel gekitzelt?, fragte ich mich nun, und diese Unsicherheit machte mich angreifbar. Bange Überlegungen: Kann ich mich ohne weiteres, kumpelhaft grinsend und grüßend, dazusetzen? Sollte ich lieber am Tresen warten, bis oder ob ich gerufen werde?
Die Animierdamen erkannten mich und
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