Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
1973, um genau zu sein, war er Doris begegnet, die dort hinter einer der Theken gestanden und Getränke verkauft hatte. Alles andere als Liebe auf den ersten Blick, doch auf Anhieb – Überraschung – große Übereinstimmung, gleiche Wellenlänge, danach alles locker, easy, nicht nur sexuell, obwohl der Sex, wie sie beide jetzt, und dabei wissend grinsend, eingestanden, der Dreh- und Angelpunkt gewesen war. Wegen des beiderseitigen Interesses am Kamasutra. Sehr interessant, ohne Frage, hätte aber meiner Meinung nach nicht unbedingt erwähnt werden müssen, zumal sich Bülent deswegen lebensbedrohlich verschluckte. Nach vier Monaten – oder fünf, wie Doris behauptete – hatten sie sich, wenn auch mit Hilfe von Speed, Haschisch und Bacardi, was einen Puristen vermutlich erzürnt haben würde, aber sowieso scheißegal gewesen wäre, durch alle Kamasutra-Lektionen gefickt und sich anschließend, sexuell gesättigt und völlig fertig, um grandiose Erfahrungen reicher und trotz der weiterhin gegenseitig tiefen Zuneigung getrennt, ohne jedoch den Kontakt abzubrechen. Kurz darauf hatte Eddy den Bauernhof gekauft und Doris zwei Fotos davon und seine neue Telefonnummer geschickt. Vor zwei Jahren hatten sie zum letzten Mal miteinander telefoniert.
»Wir verstanden uns damals auf spirituelle Weise«, säuselte Arschloch Eddy zum Kotzen geschmeidig, und es klang für mich wie der Hinweis auf ein früheres Anrecht, »aber jeder von uns suchte eigentlich etwas anderes.«
Arschloch, dachte ich, allmählich angepisst, interessiert keine Sau, was du vor einer Ewigkeit mit Doris hattest. Jetzt ist sie mit mir zusammen, und wenn du gleich anfangen solltest, die von euch vollzogenen Kamasutra-Liebesstellungen im Detail zu erläutern, gibt’s voll was auf die Fresse, scheißegal, wie groß und breit du bist.
Bülent schien ähnlich zu empfinden. Abscheu lag unverhüllt auf seinem Gesicht. Es passte ihm nicht, dass der Typ so schamlos Intimitäten aus dem Leben meiner Freundin zum Besten gab.
Aber irgendwann erreichten wir dann doch, schon leicht erschöpft, das Hier und Jetzt. Eddy widmete sich, den Oberkörper vorbeugend, Bülent und mir. »So, so«, sagte er schmunzelnd, »ein weiterer Elvis also. Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung, wie’s scheint. Überall laufen jetzt Elvis-Imitatoren rum. Allerdings durch die Bank solche dicken, älteren Typen im Las-Vegas-Outfit. In Wandsbek soll es sogar eine Toilettenfrau geben, die sich auf Elvis trimmt, und wie ich hörte, ähnelt sie dem King mehr als alle männlichen Konkurrenten.« Er lachte schallend, aber nur kurz, um dann fortzufahren: »Von daher bin ich erfreut, auf jemanden zu treffen, der dem jungen Elvis ähnelt – und hoffentlich auch glaubhaft den Rock’n’Roll rüberbringt?« Mit fragendem Blick schob er den Unterkiefer vor.
Bülent schnitt eine Grimasse, ich sprang ihm zur Seite und sagte, mein Freund habe die Elvis-Stimme, das Elvis-Feeling, sich aber bis jetzt nur um die langsamen Songs gekümmert, er habe, kulturell bedingt, vom Rock’n’Roll wenig Ahnung, sei jedoch ungemein aufnahmefähig, zu hundert Prozent bei der Sache, und ich würde ihn in einem Intensivkurs einweihen in die Welt des Rock’n’Roll, mit ihm vorstoßen bis ins Herz des Rock’n’Roll.
Nachdenklich blickte Eddy zur Decke, dann auf uns. »Es gibt, trotz der Dominanz des Prog-Rock, der Disco-Scheiße und des Heavy Metal, eine lebendige Rock’n’Roll-Szene. Hier in Hamburg sowieso. Hier räumen Bands wie Franny and the Fireballs und Rudolf Rock und die Schocker richtig ab, und in England bringt ein Rocker namens Shakin’ Stevens zigtausend Teenager zum Kreischen. Und wenn es stimmt, dass du die tierische Stimme hast, kann man da bestimmt einsteigen – vorausgesetzt, du hast eine gute Bühnen-Präsenz und lässt nicht den Türken raushängen.« Er grinste entschuldigend. »Ist nicht etwa türkenfeindlich gemeint, du verstehst?, aber die meisten Besucher deiner Auftritte werden Deutsche sein. Und bei denen musst du ankommen.« Dann stellte er noch eine Menge Fragen und sagte zwischendurch lachend – keine Ahnung, ob zu Bülents Erleichterung oder Enttäuschung –, der neue Elvis müsse nicht gleich mit dem Vorsingen anfangen, dazu habe er morgen im Studio reichlich Zeit.
Mir ging die Sache mit dem Scheiß-Kamasutra-Sex nicht aus dem Kopf. Ungewöhnliche Stellungen, das wusste ich, zum Teil mit akrobatischen Verrenkungen, mit Atemübungen, anfangs extreme Zurückhaltung, also
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