Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
belächelt hatte. »Das Computer-Wesen, also die elektronische Datenverarbeitung«, sagte Eddy im Brustton der Überzeugung, »wird von Jahr zu Jahr raffinierter, die Datenübermittlung immer schneller, und in nicht allzu ferner Zeit wird der Computer das gesamte Weltgeschehen bestimmen.«
Ich stimmte ihm einfach gefühlsmäßig zu, klar, schon wegen bedrohlich und so, weil es sich klug anhörte und weil ich diesen Scheiß-Eddy jetzt gar nicht mehr so übel fand. Vom Computer-Wesen, von elektronischer Datenverarbeitung und so weiter hatte ich allerdings keinen blassen Schimmer. Ich war ja schon froh, wenn in den Autos, die ich knackte, keine Scheiß-Alarmanlage losheulte.
»Was, mein Schatz, wirst du uns zuerst vorsingen?«
»Was heißt hier
Schatz
, Alter? Glaubst du, ich bin schwul oder was, ’ne beschissene Schwuchtel?« Bülents Stimme hallte unheilschwanger aus den Boxen, seine Augen, halb bedeckt von gerunzelten schwarzen Brauen, sprühten Funken.
Ach, du Scheiße, dachte ich, augenblicklich vom Stress-Flush durchrieselt, das Schwulen-Thema, na super, jetzt also diese Nummer, die Männlichkeits-Kacke und überhaupt – unüberwindbar? – der beschissene Graben zwischen den Kulturen.
Doch Eddy, echt souverän, alle Achtung, winkte lächelnd lässig ab, nicht etwa überheblich oder auch nur ansatzweise spöttisch lächelnd, nein, nur einfach freundlich, auf der Beruhigungsschiene, fast wie ein erfahrener Sozialarbeiter. »Mach dir nichts draus, Alter, ich nenne jeden, der mir was zeigen will, Schatz. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie scheißegal mir das ist, ob einer schwul oder stinknormal ist. «
Bülent, oft bis zur Schmerzgrenze impulsiv, besaß andererseits die intellektuelle Wahrhaftigkeit, Fragen und Probleme bis zum bitteren Ende durchzukauen. Das konnte ’ne Weile dauern, ich kannte das, aber diesmal kapierte er, volles Rohr intuitiv, gar vom Blitz der Erkenntnis getroffen, sehr schnell, was Eddy sagen wollte. Er grinste dem Tonstudio-König so was wie ’ne Entschuldigung zu, räusperte sich und sagte: »Ich dachte an
Fever
.«
»
Fever
? Nicht unbedingt die leichteste Aufgabe. Das muss verdammt lasziv und verschwitzt rüberkommen, verstehst du. Auf jeden Fall eine gute Wahl für einen, der erst mal ohne Instrumental-Begleitung vorsingt. Bei diesem Stück ist Fingerschnipsen Pflicht – was die Elvis-Version ja deutlich rüberbringt. Geiler Song, keine Frage. Und wenn du den ausgewählt hast, weil die schwüle, sexbeladene Botschaft bei dir angekommen ist, und du davon überzeugt bist, sie uns so vermitteln zu können, okay, leg los.«
Bülent bewegte sich zu eckig, was jedem und wohl auch ihm nicht entging. Es kam mir vor, als wolle sein Bewusstsein die Bewegungen des Körpers, der Arme, Beine, Füße lenken, koordinieren, kontrollieren, im streng militärischen Stil – was selbstredend zum Scheitern verurteilt war, weil es ja, wie schon erwähnt, um Laszivität, um Sex gehen sollte. Das Fingerschnipsen passte zwar genau zum Takt, sah aber ziemlich steif aus. Seine Stimme schien mit all dem nichts zu tun zu haben, schien gar nicht mit dem hölzern wirkenden Körper verbunden zu sein. Sie kam vom ersten Ton an sicher, punktgenau und lieferte exakt die richtige Message, das volle, schwere Paket. Wir tauchten hinein, gaben uns dieser Stimme hin – und dem scheinbar schleppenden, doch in Wahrheit von mühsam gezügelter Wildheit zeugenden Rhythmus. Keine Ahnung, woher der kleine Scheißer dieses Feeling hatte. Mir blieb die Spucke weg. Schon war das Stück zu Ende, viel zu früh. Es wäre mir recht gewesen, wenn Bülent den Song auf fünf, acht oder zehn Minuten ausgedeht hätte.
Und Eddy war auch erst mal sprachlos. Er sah aus, als hätte er irgendeine verdammt starke Droge genommen, die genau zu diesem Zeitpunkt dabei war, sein Gehirn zu verwüsten. Dann, endlich – Bülent überlegte sich wohl schon, ob ihn der Alt-Hippie kränken wolle – sprang er auf, stürzte auf den Sänger zu, umarmte und drückte und küsste ihn und stammelte: »Das war, das ist, ganz ohne Scheiß jetzt …, Alter, Alter …, so was hab ich noch nie zuvor erlebt. Ganz große Klasse! Du bist vollgestopft mit Talent. Ein Naturtalent. Ich habe, keine Ahnung wie viele genau, jedenfalls einige hundert Sänger anhören und beurteilen müssen, Anfänger, schon länger singende Amateure, Profis, darunter Leute mit Gesangsausbildung, Leute, die sich überschätzten, andere, die sich unterschätzten …,« – Mein
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