Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Gott, flehte ich im Stillen, nun komm zur Sache – »… und, ob du’s glaubst oder nicht, kein einziger war darunter, der dieses geballte Potential an Ausdruckskraft, dieses schwarze Swing-Gefühl, gepaart mit weißem Rockabilly, ein so instinktives Verständnis für diese Musik besaß. Von der Stimme ganz zu schweigen. Perfekte Mischung aus Elvis, Paul McCartney und, ja, Moment, soll ich sagen, Sam Cooke? Schön angerauht, viel Volumen, ein bisschen dreckig, sehr variabel, mit Soul unterfüttert.«
Eine so hohe Dosis an
positive vibrations
war für Bülent kaum zu verkraften. Es irritierte ihn, dass die Gefühle – Stolz und Verlegenheit in diesem Fall, was sonst? – so frei, für jeden sichtbar, aus all seinen Poren und überhaupt aus sämtlichen Körperöffnungen dampften und damit bewiesen, dass es in ihm köchelte. Also schlüpfte er flink in die kugelsichere Weste des coolen Mackers: »Hört sich unterm Strich wie’n beschissenes Lob an. Hab auch nix anderes erwartet.«
Natürlich, er war ja nicht behämmert, hatte er Ironie in den Spruch gestreut, wenn auch, logisch, nur gering dosiert, doch immerhin. Deshalb vermochte er mühelos in unser Lachen einzusteigen – und nicht etwa pflichtschuldigst, dem Wunsch nach Einigkeit gehorchend, sondern erlöst, womöglich glücklich. Er war eindeutig nicht mehr ausschließlich der misstrauische, bis zur Düsternis ernste, stets mit Herablassung rechnende Einzelkämpfer, hatte es mittlerweile geschafft, sich selbst zu mögen, seit Tagen dachte er, wohl von Doris und mir inspiriert, über Ironie im Allgemeinen und Selbstironie im Besonderen nach, war vielleicht von der Anwendung und der Wirkung dieser Mittel überrascht, speziell wenn sie feinmechanisch, mit Fingerspitzengefühl, eingesetzt wurden, und fest entschlossen, sie seine Gedankenwelt zu integrieren.
»Ich bin hundertprozentig von dir überzeugt«, sagte Eddy später, nachdem wir uns die Aufnahme mehrmals angehört hatten. Ganz entspannt lümmelten wir uns in Sesseln und Sofas, tranken Kaffee, rauchten fleißig, freuten uns ausgiebig über Bülents Mega-Auftritt, als hätte er damit bereits sein Gesellenstück abgeliefert, ließen in unseren Köpfen vor Optimismus strotzende Filme ablaufen, alles knallbunt, sowieso, und saugeil, wie die Zukunft glitzerte, funkelte, strahlte – verklebt mit diesem Disney-Land-Zuckerguss, leider, zu viel des Guten, der nackte Kitsch, wie ich argwöhnisch dachte, aber was soll’s, dachte ich außerdem, scheiß der Hund drauf, wir fühlen uns alle sauwohl, was ja keineswegs alltäglich ist.
Dass Eddy Tietgen der relative Wohlstand nicht in den Schoß gefallen war, zeigte sich, als er die Emotionen von der Weide in den Stall trieb, um den geschäftlichen Teil der Unterhaltung einzuläuten, schlagartig sachlich, irritiernd kühl. Doch es befriedigte mich und tat dem Türken sichtlich wohl, wie ernsthaft und respektvoll Eddy mit seinem neuen Partner verkehrte. »Ich hab mir das so vorgestellt, Bülent: Wir machen erst einen Vertrag, wenn alles in trockenen Tüchern ist. Bis dahin übernehme ich alle Kosten. Deine Aufgabe ist es, täglich fünf, sechs Stunden alleine, mit mir oder auch mal mit Musikern – Freunden von mir, die sich die Annehmlichkeiten meines Studios mit Vergnügen reinziehen – konzentriert zu üben. Doris und Hans werden dir überdies die Geschichte des Blues, des Rock’n’Roll, des Soul und so weiter einpauken. Es ist amerikanische Musik. Die britischen Bands, angeführt von den Beatles, haben in den Sixties zwar unverkennbar eigene, weiterführende Akzente gesetzt, sind aber alle von den Amerikanern beeinflusst worden. Na ja, und so weiter. Das werden dir die beiden schon verklickern. Und dann das andere – deine Performance, die Bühnen-Präsenz, die Bewegungen. Du weißt wohl selbst, dass daran noch gearbeitet werden muss. Eine weitere Sache ist, ob du voll auf Elvis setzen sollst, ob du so’n Allround-Rock’n’Roller wie Shakin’ Stevens sein solltest, oder ob du eventuell in nicht allzu ferner Zeit was völlig Eigenständiges machen könntest. Aber das müssen wir jetzt nicht entscheiden.« Ein Lächeln, entspannt und offen, legte sich wie Samt auf sein Gesicht, das eben noch vom Ausdruck kühler Sachlichkeit beherrscht gewesen war, er strahlte eine Ruhe aus, die manches über ihn erzählte, zum Beispiel über sein Selbstvertrauen und die traumhafte Sicherheit, mit der er ans Werk ging, über sein Gespür für Talente und nicht zuletzt über
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