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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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seine Begabung, aus dem Stand weitreichende Pläne zu entwickeln. Und diese Ruhe umschmeichelte uns, seine neuen Mitarbeiter, wie die warme Abendluft eines herrlichen Sommertages, obwohl es draußen saukalt war.
    Einerseits fühlte ich mich von nun an natürlich enorm erleichtert und genoss das Gefühl, meinen jungen Freund in den besten Händen zu wissen, doch andererseits – offenbar gibt es immer ein
einerseits, andererseits
– musste ich wieder einmal mit mir hadern, weil ich dem zweifellos bis auf die Knochen korrekten, wenn auch zur Übergewicht neigenden Eddy anfangs so unbegründet, beschissen, auf dumpfe Art feindselig begegnet war. Ich konnte mein Scheiß-Verhalten noch nicht mal mit Knast-Erfahrung, Gefängniszellen-Trauma, strafvollzugsbedingter Deformation oder ähnlichen, regelmäßig meiner Verteidigung dienenden Standardformeln erklären – und das schmerzte mich ganz besonders. Ich hatte mich einfach nur scheißnormal verhalten, wie ein hundsgewöhnlicher zähnefletschender und sich dabei auf die Brust trommelnder Primat männlichen Geschlechts. Mag ja sein, dass die primitive Form des zähnefletschenden, drohend auf seine Brust trommelnden Mannes im Knast besonders häufig vertreten ist, doch man begegnet ihm leider überall, ist er doch, ob insgeheim oder nicht, der Archetyp des Mannes, das Muster, das man uns eingebrannt hat. Und das Raubgesindel in den oberen Etagen der Wirtschaft, der Politik, sogar der Kunst – natürlich, was glaubt ihr denn? – unterscheidet sich von den doofen, ihren inneren Gorilla gern vorführenden Mackern nicht nur, doch hauptsächlich, aufgrund der in diesen Kreisen zur Tugend erhobenen Fähigkeit, die ebenso primitiven Machtansprüche, die nicht minder aggressiven Drohgebärden auf subtile Weise, mit dem jeweiligen Stand der Zivilisierung scheinbar im Einklang, wie ein Musikinstrument klingen zu lassen, den unvermeidlichen VIP-Zynismus in wohltönende Melodien zu tauchen. Aber was, zum Teufel, gingen mich diese ganzen Wichser an? Aggressivität war selbstredend auch mir nicht fremd, aber ich zählte sie schon längst nicht mehr zu den Tugenden eines Mannes. Ich wollte kein primitiv trommelnder Idiot, kein subtil drohender Barbar im Nadelstreifenanzug sein – trotz der Narben auf meiner Seele.
    Und prompt, wie auf Kommando, die sonnigen Zukunftsaussichten ignorierend, erwachte, nicht einmal unerwartet, eine sanfte Melancholie in mir, treue Weggefährtin, Schatten werfend, dunkelgrau bis schwarz, doch zudem bittersüß und somit zu ertragen, aber ja doch, auf abgründige Weise konsumierbar – einem Jack Daniel’s ähnlich, dessen vordergründige Schärfe durchaus zum vollen Geschmack im Gaumen passt.
    Guter alter Jack Daniel’s, dachte ich gerührt und hätte mir am liebsten auf der Stelle einen Drink genehmigt. Aber völlig klar, zu früh, das ging nicht. Wegen Disziplin und so. Kurz vor dem Mittagessen. Alle hätten mich verwundert angeglotzt – Eddy vermutlich peinlich berührt, Bülent wahrscheinlich besorgt, Doris garantiert stinksauer. Typische Stress-Situation für einen sensiblen Menschen, der vor dem Mittagessen mit einem Glas Whiskey in der Hand automatisch zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses wird. Nein, nein, so süchtig, dass ich das fatalistisch in Kauf genommen hätte, war ich nun doch nicht. Abgesehen davon, dass meine Freundin mir jeden verdammten Schluck – na ja, in Gegenwart der anderen wohl nicht mit bissigen Kommentaren, aber garantiert mit Feuerblicken – bis zur Ungenießbarkeit vergällen würde. Selbst hier also Gruppenzwang. Schon diese Tatsache wäre normalerweise Anlass für’n strammen Schluck gewesen. Soziale Kontrolle, was?, dachte ich fröstelnd, und gleichzeitig flatterten unzählige Begriffe in meinem Kopf herum, allesamt mit beschissenem Image, so viele eiskalt, metallisch und schneidend, vorneweg stählern die Denunziation, eine nicht nur von Tyrannen geschätzte, oft nach Schwefel und Buttersäure stinkende Informationsquelle, gefolgt von den spießigen Gespenstern aus meiner Kindheit, und letztendlich ließ sich der ganze Dreck mühelos komprimieren:
Überwachung, Kontrolle, Abweichung, Misstrauen, Machtgier, Bestrafung, Anpassung
. Das schoss mir, wie gesagt, spontan durch die Birne. Dann folgte der nachdenkliche Teil: Eigentlich gar nicht so übel, Menschen um sich zu haben, mit denen man sich so verbunden fühlt, dass man ihretwegen Dinge unterlässt. Ich sehnte mich ja nach Harmonie. Besonders jetzt.

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