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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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zwanghaft ein paar rauhe Insiderscherze fallen, schmunzelten, grinsten sich an, immer locker. Mit Bülent gingen sie freundlich um, weil sie ja keine Arschgesichter, sondern nur egozentrische Musiker waren, doch man merkte die Überheblichkeit, die natürlich frei von Rassismus war, die sich nur auf die Arbeit bezog. Ein Türke, der die Elvis-Nummer abzog? Sehr suspekt. Bülent hatte sich zwar von seinem Bärtchen getrennt und zeigte mit der Tolle und dem schiefen Lächeln deutlich, wer sein Vorbild war. Doch das beeindruckte die Typen nicht die Bohne. Dafür hatten sie wohl schon zu viele Stunden angeödet mit Elvis-Imitatoren verplempert. Ihre Skepsis verstand ich durchaus, völlig klar, schaler Nachgeschmack mieser Erfahrungen.
    Wartet nur, gleich werdet ihr Jungs euch wundern, dachte ich, breit in mich hineingrinsend – dann sagte Eddy, auf seinem Thron vor den ganzen Reglern, Tasten und Schaltern sitzend: »Okay, Cowboys, here we go: one, two, three, four!« Und ab ging die Post.
Ready Teddy
, ein knallharter Song, der sofort auf den Punkt kommt und das hohe Tempo voll durchzieht, erfordert, als Einstieg gewählt, nicht nur von einem Debütanten einiges an Selbstvertrauen. Bülent stieg mit Power ein, hatte die Stimme voll unter Kontrolle, wusste genau, was er tat – und Mick, dem abgebrühten Fummler an der Leadgitarre, klappte prompt die Kinnlade runter, er stieß ein lustvolles Stöhnen aus, rief uns, zufrieden grinsend, »Das gute alte Gänsehaut-Feeling!« zu, dann ließ er’s auf seiner Axt richtig krachen. Glücksgefühle auch bei den anderen Musikern. Da war nichts mehr mit Scheiß-Routine, ihr Plan, nach dem Job im
Café Adler
einen durchzuziehen und zu saufen, wurde spontan gestrichen, sie legten sich so intensiv ins Zeug wie schon lange nicht mehr – der Leadgitarrist demonstrierte, wie fleißig er Scotty Moore studiert hatte, der Bassgitarrist brachte sein Instrument zum Brodeln, der Drummer explodierte förmlich, und der anfangs saucoole Pianospieler geriet in Ekstase und ließ den Jerry Lee Lewis aus sich raus. Mit allen Mitteln der Gestik und Mimik wandten sich die Jungs dem Sänger zu, zeigten ihm ihre Hochachtung, suchten, versiert, die Tür zum direkten Kontakt mit ihm, und schon sprang der Funke über, denn Bülent, ein hundertprozentiges Rock’n’Roll-Animal, hatte, egal ob bewusst oder nicht, auf dieses Einheitsgefühl gewartet und zog sein Ding mit traumhafter Sicherheit durch.
    Eddy, aufgewühlt vor den Knöpfen, Tasten und Reglern sitzend, sah aus, als wäre er kurz davor aufzuspringen, sich ein Instrument zu schnappen, zum Beispiel die Rhythmusgitarre, sie einzustöpseln und einzusteigen.
    Doris und ich waren längst aufgestanden – was heißt hier
aufgestanden
?, Quatsch, von den modischen Regie-Klappstühlen hochgeschnellt –, rhythmisch zuckende Opfer des Rock’n’Roll, Getriebene, die gar nicht anders konnten, als jedes Glied, den ganzen Körper zu schütteln, die Finger schnipsen zu lassen, hingerissen, keuchend und seufzend, bereit zum Abflug ins All, um in den Tiefen des Universums zu verwehen, der Erlösung so nah wie selten zuvor. »So muss es im Rock’n’Roll-Himmel sein!«, schrie ich Doris ins Ohr. Unsere Blicke verbanden sich nahtlos und glatt zu einer direkten Leitung von Hirn zu Hirn. Wohltuende Einigkeit. Ein phantastischer Tag.
    An sich hatte Eddy geplant, nach dem ersten Song kurz die eventuellen Fehler anzusprechen, dann zwei, drei weitere Stücke aufzunehmen und am Ende das Ganze zu diskutieren. Aber so einfach war die Arbeit mit Künstlern nun mal nicht. Alle stürzten sich erst mal auf Bülent, schreiend, lachend, vor Rührung weinend, umarmten ihn, tätschelten, knufften, küssten ihn, zerzausten, ganz aus dem Häuschen, seine Tolle. Und er, der Held des Tages, versuchte gar nicht erst den coolen Macker zu spielen, sondern dankte erst einmal Allah, wie es sich gehörte, dann dankte er mit stockender, belegter Stimme allen Anwesenden, sein Blick suchte den Kater Elvis, den er mittlerweile auch zu seinen Freunden zählte, doch der glänzte durch Abwesenheit. Erstens wohl wegen des Lärms, zweitens jedoch wegen Stress – Scheiß-Beziehungsstress – mit der schönen Janis.
    »Sag mal, was ist
das
denn?« Mick warf, nachdem sich alle ein wenig gefangen hatten, einen strengen Blick auf Eddy, die Stimme trug schwer an der Last des tonnenschweren Tadels, den sie transportierte. »Wieso hast du uns nicht vorgewarnt? Du kannst doch nicht zulassen, dass wir

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