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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Fred setzte sich in das Schiff und folgte dem Opel Rekord.
    Noch ein Stück auf der Landstraße, dann bogen wir in einen Waldweg, auf dem wir etwa einen Kilometer zurücklegten. Ich fuhr den Opel sanft an die Seite und stieg in den Buick.
    »Ich kann hier nicht wenden, verdammte Scheiße.« Mit dem Mut der Verzweiflung ließ Fred den Wagen rückwärts durch die Dunkelheit kriechen. Manchmal rumpelte es. Dann ächzten die Stoßdämpfer, der Wagen schaukelte, dass einem übel werden konnte.
    »Bei Tageslicht wird es einfacher sein«, beruhigte ich den Fahrer, der um seinen Oldtimer bangte. »Vor allem darfst du dir, was den Wagen angeht, keine Emotionen erlauben. Hat James Bond etwa seinen Aston Martin geschont?«
    »Was soll der Quatsch«, keuchte Fred, mit verbogenem Oberkörper und herausquellenden Augen durchs Heckfenster starrend. »Ich bin nicht James Bond und habe, im Gegensatz zu ihm, eine starke emotionale Bindung zu dem Buick. Mal abgesehen davon, dass irgendeine Scheißwurzel oder ein Stein der Karre zum Verhängnis werden und damit unseren Plan vereiteln könnte.«
    Auf der Landstraße entspannte sich Fred, wurde wieder, als hätte jemand einen Schalter betätigt, zum harten Kerl. »Warum, goddam, hast du dir einen zehn Jahre alten Opel ausgesucht? Ein Stück weiter stand ein fast neuer BMW. Genau der richtige Wagen für Gangster. Diese RAF-Leute fahren doch auch alle BMW.«
    »Deshalb werden BMWs ja auch gern von den Bullen angehalten.«
    Elvis dröhnte wieder durchs Auto,
A Mess Of Blues
, spitzenmäßig, ohne Zweifel, aber ich hatte allmählich von Elvis die Schnauze voll. Tag und Nacht Elvis. Okay, es liefen auch mal andere Sachen, aber vor allem Elvis – und selbst seine Schnulzen, seichtes Zeug, das er nach der Entlassung aus der Army massenhaft aufgenommen hatte, und das mich zum Gähnen brachte, wurden von Fred gnadenlos aufgelegt, abgespult oder gar mitgesungen.
    »Der Opel ist in Ordnung«, brummte ich vor mich hin. »Ich trau mich nicht an neue Wagen ran, hab zu viel Schiss vor irgendwelchem elektronischen Kram. In diesen sieben Jahren hat sich ja auf dem Gebiet der Elektronik ’ne Menge getan.«
    »Take it easy, du hast das gut gemacht«, lobte mich Fred, der seit Stunden von einer Jahrmarkterregung beherrscht wurde, die ich als Kind verspürt hatte, auf dem Karussell, im Autoscooter, in der Raupe. Das Autoklauen inklusive Versteck im Wald war sozusagen die Geisterbahn. Morgen der Banküberfall mit anschließender Flucht – was würde das für ihn sein? Schießbude und Achterbahn?
    Ich holte den Flachmann aus dem Handschuhfach, nach einem Schluck reichte ich ihn meinem Partner. Einsame nächtliche Landstraße, sanft schaukelndes Ami-Auto,
Route
66 von den Stones, zwei entschlossene Typen, die ganz kühl dem nächsten Tag entgegensahen, sich völlig vertrauten, sich vielleicht vor dem Schlafengehen noch gegenseitig einen blasen würden … Ach nein, eher nicht. Als stinknormaler Hetero würde ich mich nicht mal auf einen Zungenkuss mit Fred einlassen.
    Die Wolken sahen aus wie zerfetzte Watte. Hin und wieder strahlte die Sonne hindurch. Kein schlechtes Vorzeichen in Sicht – wobei ich sowieso nicht an Omen und so’n Scheiß glaubte. Friedliche, verschlafene Provinz. Reichelsheim, ein Kaff in der Wetterau, nahe bei Friedberg, endlos weit entfernt vom schnellen Pulsschlag der Metropolen. Die dortige Sparkasse war tags zuvor von Fred ausgekundschaftet worden. Seit einiger Zeit waren selbst in der Provinz die Schalter der Banken mit Panzerglas gesichert. So auch in Reichelsheim. Deshalb hatten wir vor, einen Kunden als Geisel zu nehmen.
    Es war jetzt zehn Uhr morgens. Fred, am Steuer des Opels, machte einen verdammt nervösen Eindruck. Verständlicherweise. War ja sein Debüt. Der Motor lief. Auf der Straße nur hin und wieder ein Passant, kaum Autoverkehr. Soeben betrat ein Kunde die Bank, ein alter Mann, schon etwas gebrechlich, ideal für meine Zwecke. Ich tauschte mit meinem Kumpel noch einen tiefen Blick aus, der von Treue, Hoffnung und eventuellem Abschied erzählte, dann überquerte ich die Straße, schaute prüfend in alle Richtungen, setzte mir vor der Tür eine Micky-Maus-Maske aufs Gesicht, stürmte in die Bank, zog die Waffe und schrie, vermutlich hysterisch: »Überfall! Geld her!«, drückte eine Plastiktüte in die Durchreiche, blickte mich hektisch um. Der Kunde war gut und gerne siebzig Jahre alt, trug eine Schiebermütze und abgetragene Kleidung und war unrasiert. Was mich

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