Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Keilerei. Wir zogen es vor, diesen Ort des Grauens zu verlassen.
»Das sieht ganz übel aus«, knurrte der Personalchef am nächsten Morgen und war sich darin mit Herrn Hahn, dem Manager, einig. »Zwei Köche, ein Azubi, ein Kellner und eine Kellnerin sind arbeitsunfähig. So was habe ich noch nie erlebt. Möchte wissen, ob da Drogen mit im Spiel waren. Würde mich gar nicht wundern, wenn die Heroinwelle jetzt auch den Tegernsee erreicht hätte. Verdammtes Pack! Wir bewegen uns auf eine Katastrophe zu.«
Das sah ich auch so. Schüchtern wagte ich gegenüber dem Küchenchef die Bemerkung, es sei wohl unmöglich, den Gästen zwei Menüs zur Auswahl anzubieten. Herr Feldgruber, ein praktisch denkender Mensch, ging sogar noch weiter und sagte, es gebe in den nächsten Tagen überhaupt kein Menü, sondern einzig und allein Schweinegulasch mit Nudeln und Gewürzgurke. Im Kühlhaus befänden sich noch einige gut abgehangene Schweineschultern. Das kam mir irgendwie bekannt vor.
Nachmittags blieben die Busse aus. Das Hotel
Großbauer
stand inzwischen unter Anarchie-Verdacht. Dafür gab es fürs Personal endlich eine Alternative zum Gulasch. Aber Schwarzwälder Torte und Bienenstich zum Abendessen sorgten nur vorübergehend und auch da nur minimal für Entspannung.
Doris und ich, die zuletzt Eingestellten, waren die ersten Opfer. Wir konnten sofort gehen, wurden jedoch bis zum Monatsende bezahlt. Herr Hahn, sichtlich angeschlagen und weit entfernt von dem gepflegten Mannsbild, das er noch vor einigen Tagen gewesen war, reichte uns eine schlaffe Hand, die sich wie Teigmasse anfühlte, wünschte uns alles Gute und schenkte uns zum Abschied zwei Kugelschreiber, auf denen golden der Name des Hotels prangte.
»Das ist sehr lieb von Ihnen«, stammelte Doris gerührt – das heißt, ich hoffte sehr, dass sie nur so tat, als wäre sie gerührt, und selbst das hätte sie sich sparen können, denn meiner Meinung nach konnte Herr Hahn sich die Kulis in den Arsch schieben.
Irgendein Drecksack hatte den Wagen geklaut. Fassungslos standen wir vor dem riesigen Parkplatz, auf dem die deprimierend wenigen Autos ordentlich nebeneinander, auf den Parkplätzen 1 bis 6, abgestellt worden waren. Über uns hatten sich dunkle, unruhige Wolken zusammengeballt, die sich bald ausregnen würden.
»Mach jetzt keinen Ärger und nimm’s gelassen«, mahnte Doris, die nach einem Blick in mein Gesicht mit einem kurz bevorstehenden Wutanfall rechnete. »Der liebe Gott hat uns vermutlich einen Gefallen getan, hat den von uns geklauten Wagen klauen lassen, damit wir nicht als Autodiebe belangt werden.«
»Es gibt keinen Gott – und schon mal gar keinen lieben«, behauptete ich so trotzig wie verächtlich.
Sie setzte ein von mir als herablassend interpretiertes Lächeln auf. »Woher willst du das denn wissen? Wohl bei Atheisten in die Schule gegangen?«
Ein erster, wenn auch kaum sichtbarer Riss in unserer Beziehung. Und die ersten Regentropfen zerplatzten auf meinem Kopf. Während ich Doris finster anblickte, knurrte ich beleidigt: »Du scheinst mich für doof zu halten. In meiner ganzen Schulzeit traf ich keinen Lehrer, der meine Bewunderung verdient hätte. Wenn man in das Alter kommt, in dem man anfängt, sich über die Welt Gedanken zu machen, nimmt man, im Optimalfall kritischer geworden, die Weltgeschichte und die Menschen unter die Lupe – und schon weiß man, dass nirgendwo und nie ein Gott die Hände im Spiel hat. Kein höheres, allmächtiges, allwissendes Wesen würde sich mit dem Menschen als Krone der Schöpfung zufriedengeben. Die Geschichte der Menschheit ist doch nichts weiter als eine ununterbrochene Kette des Grauens. Und dann …«, ich redete mich, den Regen ignorierend, in Rage, »… und dann solche Dinge wie die Sintflut: Damals war Er, der Allmächtige, offenbar unzufrieden mit den von ihm erschaffenen Menschen – und was machte er? Ließ sie alle, von den unschuldigen Tieren gar nicht zu reden, kurzerhand ertrinken. Bis auf Noah mit seiner Familie, bis auf jeweils ein Paar von jeder Tiergattung – oder Art? Auf jeden Fall war die Inzucht vorprogrammiert. Und die Raubtiere waren in der Arche natürlich ganz sanft, kauten wie alle anderen auf rohem Gemüse und Körnern herum, die Löwen umsorgten das Antilopenpaar sogar ganz rührend, damit ihnen nichts passierte, weil sie sich ja später fleißig vermehren sollten, damit ihre Nachkommen den Löwen irgendwann wieder, wie sich’s gehört, als Beute zur Verfügung stehen
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