Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Schinken.«
»Wahrscheinlich hat uns Gott in seiner unergründlichen Fürsorge eines seiner raffiniert verschlüsselten Zeichen gegeben«, sagte ich mampfend und grinsend und kam mir dabei witzig vor. »Denn nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist es so gut wie unmöglich, dass man, arbeitswillig und einigermaßen motiviert, zweimal hintereinander in ein Hotel gerät, das kurz darauf von rebellierenden Gästen gewissermaßen vernichtet wird.«
Den ironischen Seitenhieb ignorierte Doris souverän. Vermutlich wusste sie aus Erfahrung, dass Atheisten ihren Unglauben gern mit Ironie umgeben. Mit dem Handrücken wischte sie Fett von ihrem Mund und sagte: »Keine Ahnung, wie dieses höhere Wesen tickt, aber eins ist klar: Wer tief in der Scheiße sitzt, hat nicht viele Möglichkeiten, sich daraus zu befreien und danach erst mal anständig zu duschen.«
Knackige Formulierungen dieser Art liebte ich an ihr, doch ich wollte nicht groß auf das zweifellos heikle Thema eingehen, da es zur Zeit keinen legalen Ausweg aus unserer Situation zu geben schien.
»Bald beginnt das Oktoberfest. Die suchen da bestimmt noch Leute.«
Sie lachte bitter. »Hör mir bloß damit auf. Ich hab schon auf Volksfesten gekellnert, mein lieber Hans. Danach fühlst du dich wie eine ausgepresste Zitrone, schwimmst aber keineswegs in Geld, sondern kannst gerade mal die Miete bezahlen, geliehene Kohle zurückgeben, ’ne Platte kaufen, dann musst du dich schon wieder um den nächsten Job kümmern. Ach, Mann, die ganze Arbeit auf der unteren Ebene ist wie das Laufen in einem Hamsterrad.«
»Das sehe ich auch so. Aber was schlägst du vor?«
Während unserer Unterhaltung plätscherten die Dialoge aus dem Fernseher ins Zimmer, verpufften ein paar Action-Szenen, floss der Nachspann, von schlechter Musik begleitet, über den Bildschirm.
Doris wischte ihre Hände am Bettlaken ab. Sie dehnte ihre Worte, als taste sie sich vorsichtig durch einen schlüpfrigen Sprach- und Gedankenweg: »Also, ja, nun, warum sollte ich es dir nicht endlich sagen: Vor einigen Jahren hab ich mal ein paar Wochen lang im Frankfurter Bahnhofsviertel meine Möse angeboten – die Nummer für 30 Mark. Ist’n scheißhartes Brot, wenn du keinen Beschützer hast. Ich konnte nie lange da rumstehen, weil die anderen Nutten der Ansicht waren, das sei ihr Revier. Einmal haben sie mir das Gesicht zerkratzt. Ein Loddel hat mich geohrfeigt, nicht sehr hart, aber so demonstrativ, dass ich mich gedemütigt fühlte.«
Entgeistert starrte ich sie an, als hätte sie soeben gestanden, am Buback-Mord beteiligt gewesen zu sein. »Du hast
was
gemacht? Du bist auf’n Strich gegangen? Und nun willst du mir aber nicht erzählen, dass du dich wieder an den Bordstein stellen willst – mit mir als Beschützer?« Unordnung in meinem Kopf. Eine Nachricht wie eine kalte Dusche. Es kam mir vor, als hätte sich meine Freundin eine Maske vom Gesicht gezogen – und eine völlig fremde Person säße jetzt neben mir. Eine ehemalige Nutte. Wo blieb denn da die Liebe? Und, verdammt noch mal, wie sollte das mit unserer sexuellen Beziehung in Zukunft ablaufen? Würde ich von nun an stets vermuten, ihr Stöhnen, ihre Geilheit, ihre Orgasmen – alles sei vorgetäuscht? Wie sah sie denn meinen nackten Körper? Als einen von tausend Männerkörpern?
Natürlich beobachtete sie mein Mienenspiel, in dem sich Emotionsstürme zeigten, ganz genau. »Was glotzt du mich so bescheuert an?«, fragte sie halb spöttisch, halb verärgert. »Hätte ich das für mich behalten sollen? Bin ich jetzt in deiner Achtung gesunken, Herr Bankräuber?« Hochgezogene Augenbrauen, gespitzte Lippen.
Meine Stimme klang belegt. Rauhe Kehle. Ich gönnte mir aber nicht die Zeit, etwas zu trinken. »Du hast mir noch nicht geantwortet.« Dann die in peinlichen Situationen gerne eingesetzten, zwanghaft ablaufenden Handgriffe, fahrig, hastig, aber zielbewusst: Zigarette anzünden, einen Schluck Whiskey, noch einen Schluck, gegebenenfalls großzügig nachschenken, noch nicht vorhandene Asche am Aschenbecher abklopfen.
Doris lächelte kühl, vielleicht sogar ein wenig überheblich. »Was gibt’s da zu beantworten? Dass ich auf’n Strich gegangen bin, ist ja wohl rübergekommen. Und was das andere angeht – für 30 Mark stell ich mich garantiert nicht mehr an die Bordsteinkante.«
»Na, das beruhigt mich ja«, entgegnete ich grimmig.
»Jetzt halt mal die Klappe!« So hatte sie noch nie zu mir gesprochen. Doch ich war nicht beleidigt, da mich
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