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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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gesehen, die von solchen Leuten geführt werden. Es sieht so aus, als habe die deutsche Gesellschaft ein paar Farbtupfer bekommen.«
    Wieder einmal war Doris, wie ich ihr ansehen konnte, überrascht von meiner knastbedingten Rückständigkeit. »Mein Gott«, sagte sie – und ich dachte sofort an ein weiteres Bekenntnis zum Schöpfer, doch es war zu meiner Erleichterung nur die selbst von Atheisten gebrauchte Floskel. »Mein Gott, natürlich, klar, du warst ja ziemlich abgeschottet. Im Knast gibt’s wenig Türken, Pakistanis oder Schwarze. Und hier draußen sind es mehr und mehr geworden; sie sind in die runtergekommenen, ehemals von deutschen Arbeitern bewohnten Viertel gezogen, haben dort irgendwann angefangen, Änderungsschneidereien, Gemüseläden und Imbiss-Stuben zu betreiben. Das ist in den letzten Jahren einfach passiert, sozusagen im Abseits, das sie mit den Alternativen und linken Studenten offenbar zu beiderseitiger Zufriedenheit teilen.«
    »Für mich …« Ich schluckte, wollte keinesfalls als fremdenfeindlich gelten und suchte nach neutralen Worten. »Also auf mich wirkt das, ehrlich gesagt, wegen der so von mir überhaupt nicht erwarteten Wucht des Eindrucks …, also, ich hab ja davon gelesen, ich meine, im S PIEGEL stand ja öfter was über die vielen Türken in Berlin-Kreuzberg und in Hamburg-Wilhelmsburg, aber irgendwie, ich weiß auch nicht, finde ich’s auch ein wenig, na, nicht gerade bedrohlich – oder doch, vielleicht doch.« Ich grinste entschuldigend.
    Beschissene Pizza. Wir lagen auf dem Bett, hielten schlaffe Pizza-Sechstel in den Händen, tranken Jim Beam, glotzten auf den Bildschirm und verfolgten ohne großes Interesse den behäbigen Ablauf eines deutschen Fernsehkrimis, der so viel Spannung erzeugte wie der Bericht einer Allgäuer Lokalzeitung über den schönsten Vorgarten von Leutkirch.
    Doris verstand, was ich meinte. »Oh ja, es gibt viele, die diese Entwicklung bedrohlich finden. Nicht nur Rechtsradikale. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, wissen nichts über diese dunkelhäutigen, auf unsere Ablehnung ebenfalls mit Ablehnung reagierenden Menschen, von denen die meisten ja nicht aus Übermut oder gar Bosheit zu uns gekommen sind, sondern aus legitimer Sehnsucht nach einem besseren Leben. Durch die Unwissenheit entsteht, glaube ich, das Gefühl der Bedrohung. Eine fremdartige Religion, die teilweise unverständlichen Sitten – na ja, das ist für einfach gestrickte Gemüter tatsächlich nicht leicht zu verkraften. Zumal wir uns auch auf anderen Gebieten in einer Phase des Wandels befinden.«
    »Das stimmt!«, sagte, nein, schrie ich spontan. »Es ist alles so wahnsinnig verwirrend. Früher war die Welt relativ übersichtlich, selbst für mich. Es gab nur ’ne Handvoll Kategorien, und die hatten ausgereicht, um alles und jeden entsprechend einordnen zu können. Zum Beispiel die Demonstranten, ja? 1968 war alles klar: von linksliberal bis linksradikal, die üblichen Verdächtigen, großen Teilen des Bürgertums suspekt. Und heute? Demonstriert praktisch jeder. Konservative Bauern gegen AKWs, Hundehalter gegen Hundesteuer, obrigkeitshörige Durchschnittsbürger gegen die Absetzung einer Fernsehserie, Nutten, Schwule, Zwerge, Rollstuhlfahrer gegen Diskriminierung, vornehme Damen und Herren gegen geplante Bausünden in ihrem Stadtteil. Und vermutlich wissen die meisten von denen gar nicht, dass es die damals verpönten, verteufelten 68er waren, die ihnen den Weg zur Demonstration berechtigter Empörung geebnet hatten.«
    Eine Salamischeibe rutschte über den Rand meines Pizza-Sechstels, seilte sich mittels eines Käsefadens ab, wurde jedoch eidechsenhaft von meiner Zunge eingefangen. Gedankensprung, kurz bevor Doris auf dieses Statement antworten konnte: »Ich brauche ein Auto. Die ganze Zeit im Knast hab ich an ein Auto gedacht.«
    Für Doris, in der die Gedanken ebenso unbändig rumzuspringen schienen, hatte ein anderes Thema Priorität: »Ich hab keinen Bock mehr auf diese Arbeit. Selbst wenn wir eine Stelle in einem Hotel bekämen, das nicht kurz darauf im Chaos versinken würde … Ich weiß nicht. Das ist doch alles Scheiße. Dein Privatleben spielt sich in einem Zimmer mit Sperrmüll-Möbeln ab, zum Duschen und Kacken gehst du über einen Flur, auf dem du unsympathische Kollegen triffst, die gerade vom Duschen oder Kacken kommen, dein zwanghaft misstrauischer Chef schnüffelt heimlich in deiner Bude herum, auf der Suche nach geklautem

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