Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
trommelte ungemütlich aufs Dach, prasselte belästigend gegen die Scheiben, als wäre er Teil einer gegen die Insassen gerichteten Allianz des Schreckens.
»So ’ne Uzi ist zwar sehr klein, was sie ja bei Gangstern so begehrt macht, wiegt aber dennoch gut und gerne dreieinhalb Kilo«, behauptete ich, und es klang recht fachmännisch. »Mit den Magazinen sind das dann mindestens vierzig Kilo. Wenn wir einen deiner Koffer leeren und damit vollpacken, schleppen wir uns ja zu Tode.«
»Außerdem brauch ich die Sachen in meinen Koffern. Ich hab ja eh nicht viel. Wir müssen uns was ausdenken.«
»Und was?«
»Keine Ahnung. Du bist doch der Berufskriminelle.«
»Bin ich eben nicht, verdammte Scheiße.« Es stank mir gewaltig, dass sie mich so bezeichnete – nicht, weil sie damit etwa falsch gelegen hätte, sondern weil es sich in meinen Ohren respektlos, wenn nicht gar herablassend angehört hatte. »Sonst hätte ich nicht von den letzten zehn Jahren die meiste Zeit im Knast verbracht.«
Sie zuckte die Achseln, schob die Unterlippe vor, ihre Antwort kam auf so ’ne bedächtige Art, die ich an ihr nicht mochte, weil damit stets eine blöde Belehrung verbunden war: »Das ist nicht logisch. Es gibt genügend Berufskriminelle, die aufgrund ihrer Dummheit mehr Zeit im Knast als in Freiheit verbringen. Ist doch so.«
»Ich wusste gar nicht, dass du mich für einen Trottel hältst.«
»Trottel hab ich nicht gesagt.«
Von Osten schob sich allmählich das Tageslicht in die nasse Stadt. Aber kein Regen mehr. Die Kleinstadt erwachte träge, und ich vermeinte, ihr Seufzen und Gähnen zu hören. In den dämmrigen Straßen eilten schon Frühaufsteher zu ihren Arbeitsstellen, in sich gekehrt, trugen noch die Träume der Nacht mit sich herum, erflehten im Stillen, beschämt und verzweifelt, von ihrem Gott die richtigen Lotto-Zahlen oder feilten und schmirgelten bereits wie jeden Morgen an ihrem Gedankenkunstwerk mit dem Titel
Das bessere Leben, irgendwann
, so nebenher, während sie auf den Verkehr ein Auge hatten, Bekannte flüchtig grüßten und geübt die Hundescheißhaufen umgingen.
Ich klingelte Sturm. Verbissen. Schon seit zehn Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen.
Endlich! Verzerrte Stimme, auf jeden Fall missmutig und verschlafen: »Wer zur Hölle ist denn da, goddam the hell?«
»Ich bin’s, Hans! Mach auf, Mann!«, brüllte ich in die Sprechanlage und fragte mich dabei, ob meine Stimme bei Fred ebenso verzerrt ankäme.
»Hä? Was willst
du
denn hier? Du Verräter! Du Deserteur!«
Ich begegnete Doris’ skeptischem Blick mit einer Wird-schon-klappen-Miene, in der vermutlich auch eine gehörige Portion Unsicherheit lag, dann näherte ich meinen Mund wieder der Sprechanlage und sagte so beherrscht wie möglich: »Mach endlich auf, Buddy! Ich kann hier nicht mit dir diskutieren! Ist verdammt wichtig!« Ich ging zu einem geheimnisvollen Flüstern über, die Lippen ganz dicht an der Sprechanlage, die ziemlich schmutzig war. »Pass auf, Freddy, wir haben ein tolles Ding vor und wollen, dass du mitmachst. Du wirst staunen. Ich hab dich nicht vergessen – und verraten schon gar nicht.«
»Ihr? Du bist nicht allein?«
»Nein, äh, meine Freundin ist …«
»Das Flittchen kommt mir nicht in die Wohnung!«
»Nun spiel hier nicht den Frauenhasser. Du bist doch scharf auf Abenteuer. Ich hab eins für dich.«
Der Türöffner summte. Ein in diesem Moment himmlischer Klang.
Und dann der Saustall – Fred inbegriffen. Dreck, Gestank und Abfall, ein Chaos wie beim letzten Mal – und der Rock’n’Roller fügte sich perfekt in dieses von Untergang, Tod und Verwesung kündende Bild des Grauens: aufgedunsen, unrasiert und fettig, verkrustete Wunden an Stirn und Kinn, lila Ringe um die Augen, zerschlissener, fleckiger Trainingsanzug, auf den Pantoffeln Reste von was weiß ich, vielleicht von Erbrochenem.
Steifes Händeschütteln. Für einen Augenblick las ich in Freds Gesicht, auf dem sich unverschlüsselt, ungefiltert, unverstellt die wohlbekannten Katersymptome mit so widersprüchlichen Emotionen wie Scham, Triumph, Gekränktsein und Misstrauen vermischten.
»Na«, flötete er, übertrieben zickig und, ja, vermutlich ungewollt, ein wenig tuntig, »hat sich Herr Lubkowitz in einem Moment der Nachdenklichkeit meiner erinnert? Vermutlich, weil er meine Hilfe braucht.« Doris würdigte er keines Blickes.
Er räumte ungeschickt und nachlässig, vor allem widerwillig, den Küchentisch frei. Jede Bewegung schien ihm
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