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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Führerhaus. Kalter Sitzbezug aus Plastik, eisiges Metall. Die Abfahrt Ober-Mörlen, über Bad Nauheim nach Bauernheim. Ich parkte den MAN in der Hauptstraße, rauchte bei offenem Fenster eine Lucky und sagte mir dabei ständig – und kam mir dabei wie ein Idiot vor: »Kippe nicht in den Aschenbecher, sondern weit vom Fahrzeug wegschnipsen. Natürlich – das hatte ich vorausgeahnt – erschienen nach und nach auch solche nervenden Überlegungen, die sich mit meinem Geisteszustand befassten, mit der Frage, ob diese brachiale Art der Konfliktbewältigung tatsächlich die Ultima Ratio sei, ob es nicht doch einen besseren Weg aus der Scheiße gäbe, auf den wir nach gründlichem Nachdenken garantiert stoßen würden – na ja, lauter solche Sachen, alles sehr anstrengend, und vielleicht hätte ich sogar die eine oder andere Antwort gefunden, wenn nicht gerade der Rover im Außenspiegel erschienen wäre. Zügig fuhr Horsti an mir vorbei. Ich hatte mich kleingemacht, aber er hätte mich ohnehin nicht sehen können. Der MAN stand unverdächtig im Dunkeln. Zweihundert Meter vor mir betätigte Horsti vorschriftsmäßig, wenn auch zu dieser Tageszeit sinnlos, den linken Blinker und bog ab, war jetzt nur noch wenige Sekunden von seinem Haus entfernt.
    Noch eine Zigarette. Kurzes inneres Referat über die Unerträglichkeit des Wartens in Situationen höchster Anspannung. Ich versuchte ohne Hoffnung auf Erfolg, und schon deshalb vergeblich, mir die Ruhe eines Sadhus anzueignen, schnipste schließlich die Kippe aus dem Fenster und fuhr los.
    Die erste Straße links. 50er-Jahre-Einfamilienhäuser.
    Da stand der Rover. Im
car port
. Ein Fenster des Hauses war erleuchtet.
    Was macht er jetzt?, fragte ich mich. Sitzt er vielleicht auf dem Klo? Über der dampfenden Kacke? Berauscht nicht nur vom Alkohol, sondern zusätzlich vom Gestank seiner Scheiße? Das wäre zu schön.
    Ich legte den Rückwärtsgang ein, trat aufs Gaspedal, der Motor brüllte, die mächtigen Reifen walzten den Gartenzaun nieder, durchpflügten das Blumenbeet, das eiserne Heck des Lasters und der Betonmischer rammten die Hauswand. Erster Gang, vorwärts, mit Vollgas erneut zurück und sofort wieder nach vorn, gerade noch rechtzeitig, denn die Hauswand gab nach, mit dumpfem Grollen fiel ein Teil davon zusammen und riss das Dach mit sich.
    Nun aber nichts wie weg. Mein Herz trommelte einen beängstigenden Takt, in den Fenstern der Nachbarhäuser flammte Licht auf, Vorhänge wurden zur Seite geschoben. Ich jagte den LKW über die Landstraße. Viel zu langsam. Mir fiel plötzlich ein, dass ein paar beherzte Männer in ihre Autos springen und mich verfolgen könnten. Nun war ich ein Tier auf der Flucht, eine Maus, nur von Angst beherrscht, instinktiv handelnd, ohne Überblick, vielleicht von Fallen umstellt, bereits im Sprungbereich der Katze, im Visier des Kammerjägers. »Was hast du Idiot mit deiner Freiheit gemacht?«, würde ich mich auf der Polizeiwache fragen. »Nach sieben Jahren Knast ein paar lausige Wochen – na gut, ein paar Monate – in Freiheit und nur Scheiße gebaut.«
    Man müsste so souverän wie die Burschen in den Filmen sein, dachte ich, während mein Blick nervös vom Rückspiegel zu den Seitenspiegeln, wieder auf die Fahrbahn und zurück zu den Spiegeln huschte, Männer ohne Nerven, wie der von Alain Delon gespielte Gangster in
Der eiskalte Engel
, wie Jean Paul Belmondo in
Borsalino
. Wieso fallen mir nur Franzosen ein?, dachte ich und wunderte mich über die Eskapaden meines Gehirns.
    Links und rechts in der Dunkelheit Felder und Wiesen. So ruhig, so angenehm menschenleer. Am Himmel wild waberndes Gewölk.
    Da vorne der Buick – wie eine Erinnerung an eine aufgeräumte, mit klaren Regeln gepflasterte Zeit.
    »Na, wie war’s?«, fragte Fred, als wir uns Friedberg näherten.
    »Hat Spaß gemacht.« Ungeduldig zerrte ich an den Handschuhen. Sie klebten an der Haut. Ich wischte die Schweißhände an der Hose ab.
    »… but I got wise – you’re the devil in disguise – oh yes, you are …!« Schon wieder Elvis.
    »Stell das Ding ab!«, forderte ich ungewollt schroff.
    »Was ist denn los, ey?« Fred drehte erschrocken sein Gesicht zu mir. »Ich dachte, Elvis würde dir jetzt guttun, nach dem Stress.«
    »Scheiß auf Elvis.«
    »Hey, hey, Buddy, jetzt gehst du aber verdammt zu weit!«
    »Mann, Alter, ich hab vor zehn Minuten ein Wohnhaus zerstört, nicht das ganze Haus, nur die Vorderseite – und das Dach ist zur Hälfte runtergekommen!

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