Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
morgen, nein, übermorgen in den Zeitungen stehen:
Amokfahrer rammt mit gestohlenem Muldenkipper zwei Autos. Was steckt dahinter? Terrorismus?
Oh Mann, mir wird übel!«
»Wir müssen uns was anderes ausdenken«, murmelte Fred. »Wir müssen vor allem schnellstens von hier verschwinden«, fauchte Doris. »Welche Musik wollt ihr hören? Was wäre jetzt passend?« fragte Fred, während er den Zündschlüssel drehte. »Wehe, du spielst jetzt Musik«, knurrte ich. Es klang, wie ich hoffte, bedrohlich.
»Ich hab seine Adresse.« Mit wichtiger Miene betrat Fred die Wohnung. Der abgebrühte, gut vernetzte Unterweltler hatte wieder mal seine Kontakte aktiviert und war, wie’s schien, erfolgreich gewesen. Selbstzufriedenes Grinsen. »Er bewohnt ein kleines 50er-Jahre-Haus. Die Straße heißt Hinter der Eller. Er lebt allein, hat sich vor einem Jahr von seiner Frau getrennt. Baufälliges Haus, Billigkonstruktion.«
»Na und?« Mürrisch sah ich ihn an. »Sollen wir die Bude etwa sprengen?«
»Nein, Quatsch, wir haben ja gar keinen Sprengstoff.« Ungehalten schüttelte Fred den Kopf. »Du klaust einen Laster, so’n richtig fettes Teil mit viel Eisen und so und fährst ihn rückwärts gegen die Hauswand. Dabei stürzt garantiert das ganze Gebäude ein. Ich war vorhin dort. Es gibt einen kleinen Vorgarten. Den überrollst du einfach. Sein Rover parkt an der Seite. In einem
car port
, wie die Amis sagen.«
Mein Gott, ich sah ihm an, dass er sich am liebsten selbst auf die Schulter geklopft hätte und nun darauf wartete, dass ich es tat. Aber trotz meiner Verstimmung ließ ich, die Augen zu Schlitzen verengend, intensiv an der Kippe saugend, den Vorschlag auf mich einwirken. Obwohl mir in all den Wochen keineswegs entgangen war, dass den Plänen des Elvis-Fans im allgemeinen der letzte Schliff fehlte, gab ich nach etwa drei Minuten – so lange musste es, schon um die Spannung zu erhöhen, dauern – und weil mir auch nichts besseres einfiel, mein Okay. »Aber Doris bleibt diesmal außen vor. Kein Wort zu ihr, verstehst du? Sie würde wieder den Wunsch verspüren, uns zu ohrfeigen oder in ihrer Folterkammer auf fiese Weise zu quälen.« Fred lachte verständig. Es gefiel ihm, mit seinem Freund ein Geheimnis zu teilen. Doris war nach Frankfurt gefahren, um Schallplatten zu kaufen. Sie würde erst gegen Abend zurück sein und dann den Zettel finden, die kurze, sachliche Mitteilung lesen: ›Werden voraussichtlich spät in der Nacht zurück sein, etwa um zwei. Alles wird gut. Deine Jungs.‹ »Wir brauchen was richtig Massives«, sagte ich, während wir durch ein anderes Gewerbegebiet fuhren und dabei aufmerksam die Umgebung nach Streifenwagen absuchten, obwohl wir davon ausgingen, dass die Bullen die Amokfahrt des Muldenkipperfahrers als Einzelfall bewerteten. Keine Musik. Ich hatte Fred erklärt, dass mich Musik bei solchen Aktionen irritieren würde.
Und schon wurden wir fündig. Neben einer Baustelle wartete ein schwerer MAN mit Betonmischer auf uns, den ich ruckzuck knackte und kurzschloss. »Also, bis später!«, rief ich meinem Komplizen zu, dann fuhr ich mit dem LKW auf die Autobahn und zur Raststätte Wetterau, trank dort Unmengen Kaffee, rauchte zu viele Zigaretten, las lustlos im S PIEGEL , aß eine kalte Frikadelle mit Kartoffelsalat, konnte mich aber auf nichts konzentrieren und hatte sowohl das Gelesene als auch das Verzehrte gleich wieder vergessen. Kaltes Licht, traurige Pflanzen in hässlichen Kübeln. Am Nebentisch unterhielten sich Fernfahrer lautstark über Politik und Nutten. Die Zeit verging so zäh, als wäre ihr Räderwerk beschädigt. Wenig los in der Raststätte. Ein paar müde Gesichter, über Kaffeetassen, Biergläser, Teller gebeugt, ins Nichts starrend, während hinter ihren Stirnen die gefahrene Strecke noch einmal vorbeirollte und der vor ihnen liegende Rest des Wegs zumindest in Gedanken tapfer bewältigt wurde. Zwei Tramps tranken Bier aus der Flasche und teilten sich den Erbseneintopf. Jetzt sehnte ich Musik – die richtige Musik, was denn sonst? – herbei, was Bittersüßes wie
Dirty Old Town
, egal ob von Esther Ofarim oder Rod Steward gesungen – das wäre der ideale Kokon für mich in dieser nüchternen Cafeteria. Zu Hause, beschloss ich, nach dem Zuhause fiebernd, werde ich die Doris-Kassette mit der Esther-Ofarim-Version einschieben. »… hear the sirens from the docks – a train sets the night on fire …!«
Scheiß-Gummihandschuhe. Gegen Mitternacht kletterte ich ins
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