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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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deswegen bin ich für die Todesstrafe für Terroristen, verdammte Scheiße.«
    »Und für Taxifahrermörder und Mitschnacker«, brummte jemand, vermutlich ein Taxifahrer, grimmigen Blicks. Einhellige Zustimmung, und gleich darauf wurden noch ein paar andere Delikte in die Todesstrafen-Liste aufgenommen.
    »Was darf’s sein, Cowboy?« Der Wirt, dienstbeflissen, hatte den Kopf schräg geneigt und ein wenig vorgeschoben; in seinen trüben Augen glomm schwach die Hoffnung auf eine Bestellung, die sein Herz höher schlagen lassen würde, auf die ersehnte Trinkt-was-ihr-wollt-Lokalrunde oder die Sekt-für-alle-Order.
    »Ein Bier vom Fass.«
    »Holsten-Edel oder Moravia-Pils?« In seiner Stimme schwebte tatsächlich, es war keine Täuschung, der Klang verhaltenen Stolzes auf diese breite Angebotspalette – zweierlei Bier vom Fass, aber hallo! – und nahm dadurch der an sich korrekten Frage schleimig ihre Sachlichkeit.
    Mein Magen geriet in Aufruhr, wollte eindeutig seinen Inhalt loswerden, doch ich brachte ihn unter Kontrolle. Obwohl mir in diesem Moment des Würgens und Schluckens das Sprechen schwerfiel, redete die innere Stimme beruhigend auf mich ein. ›Es ist nur eine Silbe‹, raunte sie ermutigend. Okay, alles klar, sagte ich mir beziehungsweise der Stimme in mir, nur eine Silbe, das krieg ich hin. »Pils.« Na bitte, war doch ganz einfach.
    Ich rutschte aalglatt und routiniert auf einen Barhocker, der, wie ich kurz darauf erleichtert registrierte, meinem Arsch sehr gut gefiel. Die Symbiose von Barhocker und Gesäß zählte für mich zu den wichtigsten Voraussetzungen für einen angenehmen Aufenthalt am Tresen. Ich trank mein Bier, rauchte, kratzte mir, um Männlichkeit bemüht, den Sack, ausländerfeindliche Sprüche umwehten mich und rochen faulig. Jugoslawen kamen etwas besser weg, galten als gute Arbeiter. Griechen, na ja, Türken und Afrikaner das Letzte.
    »Und nun auch noch Hippies, Kommunisten, Rauschgiftsüchtige, Schwule. Das ist ’ne schöne Demokratie, ist das, da scheiß ich drauf.«
    »Das ganze Viertel geht den Bach runter.«
    »Das ganze Viertel?
Alles
geht den Bach runter, alles! Wenn der Staat nicht so schlapp wäre, gäb’s auch keine Terroristen! Die tanzen uns doch auf der Nase rum! Und dann die bekloppten Kernkraftgegner, Mann, die würden blöd kucken, würden die, wenn sie auf einmal keinen Strom mehr für ihre Stereo-Anlagen hätten, die Penner, Mann!«
    »Und die Türken fühlen sich hier mittlerweile so stark, als gehörte ihnen schon das Viertel. Nachts geh ich nicht mehr allein durch die Sternstraße oder die Lagerstraße, obwohl ich nie ein Feigling war. Ich war an der Ostfront, im Scheißwinter 1941. Das sagt ja wohl alles.«
    »Auf jeden Fall.«
    Um dem Grauen die Krone aufzusetzen, sang Udo Jürgens
Aber bitte mit Sahne
, und an den Tischen grölten alle mit, als wollten sie sich dadurch vergewissern, dass sie noch am Leben waren.
    Seit ich in diesem Viertel wohnte, stieß ich beunruhigend häufig auf solche Verlierertypen, deren Ausländerfeindlichkeit unverrückbar auf dem Irrtum basierte, an ihrer beschissenen Lage und trostlosen Stimmung seien vor allem die Türken und all die anderen undeutsch aussehenden Eindringlinge schuld.
    Abgesehen von meinen Kontakten mit Amerikanern, damals, in meiner Jugend, hatte ich mit Ausländern praktisch nie was zu tun gehabt. Sie waren Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre aus Italien, Spanien, Griechenland und der Türkei herangekarrt worden, sogenannte Gastarbeiter, überwiegend Männer, schwarze Haare, braune Haut; anf angs in Wohnheimen kaserniert, hatten sie einen beachtlichen Beitrag zum Wirtschaftswunder geleistet. Das war mir bekannt gewesen, und ich hatte ihren Wunsch und ihre Berechtigung, hier zu leben, nie in Frage gestellt. Allerdings waren sie mir früher kaum aufgefallen – unsichtbare, schattenhafte Wesen, die still ihre Arbeit machten und unauffällig in menschenunwürdigen Unterkünften hausten, was ich wie Millionen andere Deutsche durchaus akzeptabel fand, da wir, gut gefüllt mit Vorurteilen, glaubten, es sei für diese Menschen normal, so beschissen zu wohnen. Sie waren von mir schlicht und einfach nicht wahrgenommen worden. Nach meiner Entlassung aus dem Knast, als ich mitbekam, wie viele von ihnen inzwischen hier dauerhaft lebten, nicht mehr als sogenannte Gastarbeiter, sondern als Immigranten, die Zug um Zug ihren Anhang nachkommen ließen und somit mehr Wohnraum benötigten, war mir klar, dass die Gesellschaft

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