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Das Jahr des Hasen

Titel: Das Jahr des Hasen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Gräben fressen, und mittags durften sie ein paar Stunden wie­ derkäuen. Die beiden Hirten gingen unterdessen baden. Irja sah majestätisch aus, als sie in den kühlen Waldsee eintauchte, mit ihren großen Brüsten.
    Nachmittags begann eine große braune Kuh zu kla­ gen. Sie muhte leise, schloß ihre feuchten Augen und zeigte sich nicht gewillt, den Weg mit den anderen fort­ zusetzen. Sie fraß nicht einmal mehr, trank nur Wasser. Abseits von den anderen schob sie sich leise klagend zwischen zwei Bäume, lehnte sich mit der Flanke an den einen Stamm und drehte den Kopf Irja zu.
    »Die wird bald kalben«, meinte Irja besorgt. Vatanen fand, die Kuh habe keinen dickeren Bauch als alle ande­ ren, aber Irja wußte es besser. »Wenn wir nicht bald die Landstraße erreichen, passiert es hier mitten im Wald«, sagte sie.
    »Vielleicht sollte ich nach Sonkajärvi vorausgehen und einen Tierarzt holen«, schlug Vatanen vor.
    »Unsinn. Soll sie doch hier kalben, sie ist ja ein ge­ sundes Tier. Du wirst das Kalb schon tragen können.«
    Nach einiger Zeit scharrte die Kuh in der Erde und krümmte den Rücken, man sah, daß sie Schmerzen hatte. Hin und wieder brummte sie dumpf, es waren sonderbare und ungewohnte Laute. Irja redete dem Tier beruhigend zu, es antwortete mit leisem Muhen. Schließlich legte es sich nieder.
    Nach einer Stunde sagte Irja: »Jetzt geht es los, komm und hilf ziehen.«
    Das Kalb kam langsam heraus, die Kuh hatte sich er­ hoben und muhte gequält, sie mußte alle Kraft aufbie­ ten. Und dann fiel das Kalb auf die Erde. Es war schlei­ mig, und die Kuh leckte es ab. Sie hatte sich wieder völlig beruhigt.
    Vatanen hob hundert Meter weiter ein Loch aus und vergrub die Nachgeburt. Das Kalb versuchte sich auf die Beine zu stellen, kippte aber immer wieder um, es war noch zu klein. Saugen konnte es sofort, es kniete sich unter die Kuh und lutschte gierig.
    So ein neugeborenes Kalb kann natürlich nicht durch den Wald zur Landstraße wandern. Sollten sie es töten? Auf keinen Fall. Sie kamen überein, daß Irja mit den anderen Kühen vorausgehen und Vatanen das Kalb auf die Schulter nehmen und mit dem Muttertier nachfolgen sollte.
    Vatanen nahm eine Decke aus seinem Rucksack und band die Zipfel mit einem Seil zusammen. Jetzt hatte er einen Beutel, den er auf dem Rücken tragen konnte. In diesen Filzbeutel legte er das Kalb, das furchtsam wim­ merte, aber was half’s, auf eigenen Füßen konnte es sich noch nicht fortbewegen. Die Kuh sah ruhig zu, wie ihr Kalb in der Filzdecke verstaut wurde.
    Vatanen warf sich das Kalb auf den Rücken, die klei­ nen Hufe berührten bei jedem Schritt seinen Nacken. Der Hase wußte nicht recht, was er tun sollte. Er sprang Vatanen nervös um die Füße, paßte sich dann aber dem langsamen Wegtempo an. Vatanen ging mit dem Kalb auf dem Rücken voran, hinter ihm trottete nachdenklich und still die Kuh, die ab und zu den Kopf ihres Kälb­ chens leckte, und am Schluß hoppelte der Hase.
    Obwohl das Kalb bei jedem Schritt durchgeschüttelt wurde, bekam es zu Vatanens Verwunderung keinen Durchfall, aber es war ihm ja vorher viele Monate lang im Bauch der Kuh ebenso ergangen. War das ein Marsch! Vatanen schwitzte unter der Last. Mücken umschwirrten ihn und drangen ihm in die Nasenlöcher. Weil er mit beiden Händen die Schnüre der Decke fest­ halten mußte, konnte er sie nicht verjagen; über seinem Bauch baumelte außerdem noch der Rucksack.
    »Ein tierliebender Mensch hat es manchmal schwer«, murmelte Vatanen, als ihm im Dickicht ein Fichtenzweig ins Gesicht schlug.
    Aber das Maß war noch nicht voll.
    Ein Moor lag vor ihm, doch er wollte es nicht umwan­ dern, weil das einen Umweg von einem Kilometer bedeu­ tet hätte. Der Moorboden schien auch zu tragen, als er ihn betrat. Die Kuh zögerte, doch als Vatanen sich um­ drehte und sie rief, faßte sie Mut und kam hinterher. Der Boden senkte sich zwar leicht, aber Vatanen glaub­ te, in einem so trockenen Sommer werde das Torfmoor eine Kuh wohl tragen können, außerdem hätten die Kühe der Einödhöfe Übung beim Durchqueren von Mooren.
    Zur Mitte hin wurde der Untergrund weicher. Die Kuh folgte Vatanen, der Boden unter ihr gab nach, sie mußte schneller laufen, um nicht einzusinken. Das Schilf schwankte, sie mußte es weiträumig umgehen. Auch Vatanen mußte die weicheren Stellen im Laufschritt nehmen, und nach der Hälfte des Weges blieb einer seiner Stiefel im Morast stecken. Er zog wütend den Fuß heraus, der

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