Das Jahr des Hasen
sich im Laden neue Stiefel, einen Pullover, Unterwäsche, Hosen und
kleidete sich vollkommen neu ein. Seine alten schmutzi gen Sachen warf er in den Müll.
Es war ein sonniger, heißer Morgen, Samstag oben drein. Vatanen wanderte durch das Kirchdorf und ge langte auf der Suche nach geeignetem Hasenfutter zum Friedhof.
Die Bepflanzung der Grabhügel war ganz nach dem Geschmack des Tieres. Das Raigras auf den frischen Gräbern schmeckte ihm besonders gut.
Die Kirche war offen. Vatanen rief den Hasen und ging mit ihm hinein. Welch herrliche Kühle und Ruhe! Daß er schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten war, hinderte ihn nicht daran, die Stille des großen Raums zu genießen.
Der Hase hoppelte durch den Mittelgang nach vorn, ließ vor dem Altar ein paar unschuldige Kötel fallen und machte sich dann daran, die Kirche systematischer zu erforschen. Vatanen setzte sich auf eine Bank, betrach tete das Altargemälde, die Architektur des Raumes. Nach seiner Schätzung hatte die Kirche etwa sechshun dert Sitzplätze, und zwar auf zwei Ebenen: An beiden Seiten, in voller Länge des Kirchenschiffes, befanden sich Emporen, die unter der Orgel zusammenliefen. Rechts und links vom Altar führten hölzerne Treppen nach oben. Das dämmerige Licht, das durch die hohen, schmalen Fenster fiel, schuf eine verschlafene, friedliche Stimmung.
Vatanen sammelte die Hasenkötel auf und stopfte sie in die Tasche. Er beschloß, ein Nickerchen zu machen, suchte sich einen Platz in der Ecke der hintersten Bank, zog die neuen, glänzenden Stiefel aus und legte sich den Rucksack unter den Kopf. Hier war es weitaus ange nehmer als in der Pension mit ihren rissigen, schmieri gen Tapeten. Die Blicke konnten in christliche Höhen schweifen oder auf den stillen Fichtenholzsäulen mit der Patina frommer Gesänge ausruhen. Der Hase spielte lautlos an der Tür der Sakristei. Da ist er gut aufgeho ben, dachte Vatanen, dann schlief er ein.
Während Vatanen schlief, betrat ein alter Mann die Kirche, es war der Pastor. Er trug Dienstkleidung, einen schwarzen Talar mit Beffchen. Raschen Schrittes ging er am Altar vorüber zur Sakristei, ohne den Hasen zu bemerken. Der verfolgte verdutzt den Auftritt des schwarz gewandeten Mannes.
Bald kehrte der Pastor aus der Sakristei zurück, be waffnet mit einer Anzahl langer Kerzen und einem gro ßen Papierknäuel, vermutlich ihre Verpackung. Er ging zum Altar, nahm die halb heruntergebrannten Kerzen aus den Haltern und steckte neue auf. Die Kerzen stümpfe trug er in die Sakristei, dort wurde er auch das Papierknäuel los.
Er zündete die Kerzen an und trat ein paar Schritte zurück, um das Ergebnis seiner Bemühungen zu be trachten. Dann untersuchte er seine Hosentaschen unter dem Talar und holte eine Schachtel Zigaretten hervor. Er zündete sich eine Zigarette an und rauchte, wobei er den Rauch immer vom Altar weg blies. Als er fertig war, drückte er die Kippe auf dem Fensterbrett aus, pustete die Asche weg, steckte die Kippe in die Streichholzschachtel und schob diese in die Tasche. Zum Schluß wischte er sich die Hände am Saum des Talars ab, als wollte er die durch das Rauchen begange ne Sünde loswerden.
Erneut begab er sich in die Sakristei. Als er wieder herauskam, trug er mehrere Bogen Papier in der Hand, wahrscheinlich seinen Predigttext.
Erst jetzt bemerkte er den Hasen, der inzwischen bis zum Altar vorgedrungen war, sich erkühnt hatte, an der heiligen Stätte Kötel fallen zu lassen, und nun die Schnittblumen beschnupperte, die auf dem Boden stan-den.
Der Pastor erschrak dermaßen, daß ihm die Papiere aus der Hand fielen und zu Boden schwebten.
»Gott behüte!«
Der Hase hoppelte aus dem Altarraum und ver schwand im Seitengang.
Vatanen erwachte. Er richtete sich auf und sah, wie der Hase nach hinten flitzte und der überraschte Pastor sich langsam den Schweiß von der Stirn wischte.
Vatanen lugte vorsichtig hinter der schützenden Banklehne hervor, um den weiteren Verlauf der Erei gnisse zu verfolgen.
Der alte Pastor erholte sich ziemlich rasch von seinem Schrecken. Er huschte blitzschnell in den Seitengang und sah den Hasen am anderen Ende Männchen ma chen. Anmutige Stellung, schönes Tier.
»Tuku, tuku!« lockte er, aber der Hase traute der Ein ladung nicht; der Kirchenmann war so erregt, daß das Tier die Gefahr witterte.
In einem Tempo, das man ihm in seinem Alter nicht zugetraut hätte, rannte der Pastor in seinem Talar los und versuchte, den
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