Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
Ostsee fahren, mit Freunden. Und Mutter hat das natürlich verboten.
»Wenn ich mir das ganze Heilige überlege, was bei uns in der Luft liegt, bin ich mal gespannt, was Carsten meint, wenn du zur Jugendweihe gehst«, sagt Mella, als würden mir meine Gedanken auf der Stirn geschrieben stehen.
Aber ich für meinen Teil kenne Mellas Gedanken und Pläne auch. Ich weiß genau, dass sie in die große Sporttasche, in der sie sonst ihre Handballklamotten aufbewahrt, jeden Tag etwas anderes für ihren Silvesterausflug packt. Wenn Mami dieses Jahr nicht einlenkt, haut sie ab. Ich weiß das. Ich würde ihr am liebsten sagen, dass ich das verstehe. Dann bräuchte sie nicht länger heimlich zu packen. Aber dann kriege ich noch größeren Ärger, wenn alles auffliegt. Vielleicht wird ja unsere Mutter noch vernünftig? Was spricht eigentlich dagegen, dass Mella mit Tom wegfährt? Die meisten anderen Mädchen dürfen das. Sie wird nächstes Jahr achtzehn. Dann kann Mutter ihr sowieso nichts mehr verbieten.
»Soll ich dich eigentlich unterstützen?«, frag ich sie aus heiterem Himmel.
»Wobei?« Mella sieht mich ziemlich überrascht an. Sie kann ja wirklich nicht wissen, wie ich von Carsten und der Jugendweihe auf ihre Silvesterpläne komme.
»Beim Kämpfen für deinen Ausflug!«, erkläre ich geduldig.
»Das bringt doch nichts. Da denkt sie bloß, dass du auch noch mitwillst, aber das kommt nicht in Frage. Wir nehmen nämlich keine kleinen Kinder mit.«
Ich wollte nett sein und krieg eine rein. Meine Schwester Mella ist wirklich ein Ekel.
Ich bin gespannt, wie das mit Weihnachten weitergeht. Wir geben uns immer große Mühe, freundlich zu sein. Aber jedes Jahr gibt es wegen irgendwas Streit. Dieses Jahr kommen am ersten Feiertag auch noch Carstens Eltern. Ein Weihnachten mit Großeltern habe ich noch nie erlebt.
Maria dreht sich auf den Bauch. Schwups! Dann fängt sie an zu rucken. Den Plüschhasen hat sie verloren. Sie hat den Kopf gehoben und fixiert die Füße unseres Tischchens. Dazu macht sie »Bababe!« Wir lachen.
5
Als Carsten und Mami nach Hause kommen, staunen wir wortlos. Sie klingeln unten und jagen dann wie frisch Verliebte die Treppe hoch. Oben hat Carsten meine flinke Mutter eingekriegt und packt sie um die Hüften. Sie kichert wie ein kleines Mädchen. Wir stehen da, ich habe Maria auf dem Arm. Mella und ich mustern die beiden heimlich. Ist was zu sehen? Hat der Gottesdienst äußere Zeichen hinterlassen? Nichts! Keine kleinen Sender hinter den Ohren und auch keine winzigen Antennen auf dem Scheitel. Sie sind völlig unverändert, nur ganz und gar fröhlich.
»Das war schön!«, strahlt meine Mutter. »So schön. Das hätte ich nicht gedacht. Es war genau wie damals, als ich klein war.«
Ich kann spüren, wie Mella die Hörner der Wut ausfahren will. Bitte nicht, denke ich flehend.
»Wirklich? Wie vor dreißig Jahren?«, versuche ich, mit meiner ungläubigen Frage Mella den Wind aus den Segeln zu nehmen.
»Echt?«, fragt Mella jetzt spitz. »In der Kirche ist also alles so wie früher. Wie im Mittelalter? Altmodisch und muffig?«
Carsten sieht sie fragend an: »Wie kommst du denn darauf? Nur weil Evi etwas wiedererkannt hat, ist es doch nicht gleich wie im Mittelalter.«
»Es war einfach nur schön, meine liebe Mella!«, hört Mami nicht auf zu strahlen und küsst meine wütende Schwester auf den Mund. Dann wendet sie sich mir zu, küsst Maria auf die weichen Wangen und streicht mir ganz kurz übers Haar. »Es war einfach schön, und es ist völlig egal, ob du mir das jetzt glauben willst oder nicht. Ich fühle mich gut. Ich bin etwas begegnet, was mich tief innen berührt hat. Ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll. Ergibt das einen Sinn?« Sie sieht Carsten an und nickt bekräftigend. »Das hat aber erst mal keine weiteren Konsequenzen«, ergänzt sie zum Glück, denn die Wutblitze aus Mellas Augen verbrennen mir schon fast die Haare. »Du musst jetzt weder vorm Essen beten noch steht fest, dass Maria getauft wird. Darüber reden wir später und immer mal wieder. Für heute ist mir klar: Das war ein festlicher Gottesdienst, da waren fröhliche Menschen zusammen, und es hat allen gutgetan, was da passiert ist. Auch dann, wenn ich nicht weiß, was es genau war.« Sie blickt in die Runde. »Aber können wir jetzt in die Wohnung gehen und mit der Bescherung anfangen?«, fragt sie ungeduldig.
Wir drehen uns gehorsam um und lassen sie eintreten. Und dann ist Weihnachten. Ein anderes Weihnachten
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