Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
als jemals zuvor.
Ich kriege eine obercoole Jeans und ein Paar Ohrringe mit kleinen, blauen Glitzersteinen. Mella schenkt mir ein T-Shirt, auf dem steht vorn »Respect« und hinten »me«. Das ist toll. Carsten überrascht mich mit einem Buch, das nicht von Religionen handelt. Es ist ein Buch für Erwachsene von der amerikanischen Schriftstellerin Harper Lee und heißt »Wer die Nachtigall stört«. Carsten sagt, dass er nicht genau weiß, ob ich das schon verstehe und das ziemlich dicke Buch schaffe, aber er hat damit das Lesen richtiger Bücher gelernt. Außerdem sagt er: »Da drin kannst du mehr über Menschen und Glauben lernen als in hundert anderen Büchern.«
Rosenstolz liegt auch unter dem Baum. Bestimmt von meiner Mami. Ich bin rundum zufrieden.
Und wie erst meine Geschenke, die ich doch noch gekauft hatte, angekommen sind! He! Meine Mutter nimmt den ganzen Abend das Tuch nicht mehr vom Hals und Mella erdrückt mich mit ihrer Umarmung fast. Carsten sieht mich mit einem Wundern im Blick an.
Für Maria habe ich mir übrigens auch was Tolles ausgedacht. Ich überlege manchmal, dass Mella und ich ja schon richtig erwachsen sein werden, wenn sie größer ist. Und dann ist sie vielleicht traurig, dass sie keine anderen Geschwister hat. Obwohl man das bei Carsten und Mutter nicht genau sagen kann, so wie die turteln – würde Mella jetzt bestimmt ihren Kommentar abgeben. Ich schenke Maria ab jetzt zu jedem Fest einen Gutschein. Dieses Jahr hat sie einen »Kinoabend mit ihrer Schwester Tine« bekommen. Ich habe dazu ein Heft gebastelt, in den ich die Gutscheine einklebe und für sie aufbewahre. Die Idee ist gut, finde ich und muss mich mal selbst loben.
Der Abend geht glimpflich vorbei. Kein weiterer Streit. Keine Tränen oder Wutanfälle. Einfach nur gemütlich. Meine Mutter sitzt selig auf dem Sofa und lobt den schönen Baum und die herrlichen Kerzen, die bei uns immer echt sind. Mella hockt am Boden neben Carsten, schmust mit Maria und drückt ihre Ärmchen runter, wenn sie nach den Kerzen greifen will. Ich habe mich neben meiner Mutter hingeflätzt und lege irgendwann den Kopf in ihren Schoß und lasse mich kraulen. Schnurr! Herrlich! Carsten legt eine CD ein und dann singen die Thomaner das Weihnachtsoratorium. Hat er sie also doch. Mir fällt nachträglich ein Stein vom Herzen.
»So muss das sein«, sagt er. Na ja, mir hätte es auch ohne Thomaner und Bach gefallen, aber er gehört jetzt dazu. Also lass ihn!, würde meine Mutter sagen.
Der nächste Tag bricht an. Ich wache auf und bin sofort aufgeregt. Wie wird es heute werden? Weihnachten mit Großeltern. Was sie mir wohl schenken? Wie wird der Tag ablaufen? Bleibt es so friedlich wie gestern oder ziehen dunkle Wolken aus Richtung Mella und Silvester auf uns zu? Ich könnte mich in die Spannung hineinsteigern wie in einen Krimi.
Seit einer halben Stunde geht Carsten dauernd ans Fenster und sieht auf die Straße. Jetzt hupt es. Sie kommen. Mella und Carsten rennen die Treppen runter, um ihnen mit ihrem Gepäck zu helfen.
»Was habt ihr denn alles mit?«, rutscht es meiner Mutter raus, als sie alle die Töpfe und Plastikgefäße sieht. Sie grinst und legt sich die Hand auf den Mund.
»Das sind eure Geschenke, ein Kuchen, bisschen Salat, dann musst du keinen machen.« Omi hat die ganze Bude vollgestellt, umarmt uns ständig und verteilt Geschenke. Opa geht sofort zu Maria ins Wohnzimmer und nimmt sie auf den Arm. Er ist vernarrt in sie und sie in ihn. Sie greift nach seiner Brille und zieht ihn an den Ohren. Sie hält ganz still, wenn er sie unter seinen weißen Augenbrauen hervor ansieht und ihr ins Ohr flüstert: »Meine Gute! Meine Gute!«, und ihr dann einen zarten Kuss auf die Wange gibt.
Das geht ganz gut los. Alle halten Frieden, und die beiden sind so lieb, dass ich vor Glück fast platze. Niemals hätte ich gedacht, dass man auch Großeltern geschenkt bekommen kann. Sie haben mir übrigens ein seltsames Geschenk gemacht: einen Gutschein über einen Wanderschuh. »Den zweiten kriegst du, wenn du den ersten gewollt hast«, sagt Opa rätselhaft dazu. Ich hab keine Ahnung, was das bedeuten soll.
»Komm uns besuchen, sieh, wo wir wohnen, und wenn du für unsere Landschaft Feuer fängst, willst du vielleicht selbst den zweiten Schuh. Und dann sollst du ihn bekommen«, setzt meine Omi seine Erklärung fort.
Sie kann in mich hineinsehen mit ihren grauen Augen. Glasklar muss ich für sie sein. Aber wandern? Das ist eigentlich nicht mein
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