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Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Titel: Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beltz & Gelberg
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Hobby.
    »Probier’s doch erst mal aus. Dann sehen wir, ob es dir gefällt oder eben nicht.« Sie macht einfach weiter beim Gedankenlesen. Ich kann mich gar nicht richtig wehren gegen solche seltsamen Geschenkideen. Diese Großeltern kommen einfach an und machen so viel anders. Aber beide tun gut.
    Beim Mittagessen bricht die Katastrophe dann doch los. Omi fragt völlig ahnungslos: »Was macht ihr denn zu Silvester?«
    »Wir bleiben zu Hause«, sagt Mutter.
    Und Carsten ergänzt: »Es ist so schön in der neuen Wohnung.«
    »Aber ich will an die Ostsee fahren und Mutter lässt mich nicht«, platzt Mella dazwischen.
    Ich will auch etwas dazu sagen, aber so schnell, wie Omi reagiert, bin ich nicht. »Warum denn nicht?«, fragt sie unbekümmert.
    Ich starre sie an. Das ist stark. Sie blickt zu meiner Mutter, meine Mutter blickt zurück. Was kommt jetzt?
    »Ich will das nicht.« Wenn Mutter das sagt, ist das eigentlich der Schlusspunkt. Aber heute nicht.
    »Mella ist doch fast achtzehn«, schaltet Opa sich ein.
    Was ist denn hier los? Hat Mella sie etwa vorher angerufen? Das kann doch nicht wahr sein, was hier abgeht.
    »Lasst Evi«, sagt Carsten. »Das ist ihre Entscheidung.«
    »Du bist aber streng«, versucht Omi einzulenken.
    »Ich finde es einfach nur verkrampft«, sagt Mella und gießt natürlich noch Öl ins Feuer.
    Mir wird langsam schlecht. Ich will keinen Streit. Ich sehe ihn auf mich zukommen wie eine viel zu große Welle. Wenn dann alles vorbei ist, ist alles verödet. Ich habe Streitpanik. Das ist eine Krankheit, die vor allem zwischen dem zwölften und sechzehnten Lebensjahr auftritt, aber in keinem Buch beschrieben wird. Es gibt keine Heilung.
    Der Streit geht in die zweite Runde.
    »Warum willst du sie denn nicht fahren lassen? Du hast doch bestimmt Gründe«, will der weise Opa wissen.
    Ohne etwas zu sagen, steht meine Mutter auf und geht zu der Kiste, in der wir die alten Zeitungen sammeln, wühlt eine halbe Minute darin herum und wedelt dann mit der Leipziger Volkszeitung von vorgestern vor unseren Nasen herum.
    »Hier!«, sagt sie und liest: »Sechzehnjährige bei Verkehrsunfall tödlich verunglückt. Der zwanzigjährige Fahrer überlebte den Verkehrsunfall leicht verletzt. Beim Zusammenstoß mit einer Straßenbahn geriet der Wagen ins Schleudern und prallte gegen einen Beleuchtungsmast. Die Beifahrerin erlitt dabei so schwere Verletzungen, dass sie noch am Unfallort verstarb.«
    »Was hat das mit Mella zu tun?«, will Opa wissen. Er zieht die Brauen ungläubig hoch und schüttelt den Kopf.
    »Jeden Tag lese ich so was. Jeden Tag fahren diese jungen Kerle, die scheinbar zu viele Hormone haben, wie die Blöden ihre Freundinnen krankenhausreif oder tot. Das ist kein Spaß. Das ist Mord. Und ich will das einfach nicht. Punkt!« Mann, o Mann. Das ist heftig.
    »Tom ist doch kein Mörder!« Mella fängt an zu heulen. »Wie kannst du nur! Wie …« Dann rennt sie aus dem Zimmer.
    Ich habe es gewusst. Die Welle! Ich starre sie alle an. Nach einem Augenblick Stille steht Omi auf und geht Mella ganz selbstverständlich nach.
    Carsten legt die Hand auf die Schulter meiner Mutter. »Du übertreibst«, sagt er. »Wie soll sie das verstehen?«
    »Ist das denn nicht deutlich genug? Ich kenne diesen Tom überhaupt nicht. Er war noch nicht ein einziges Mal hier. Und bei mir am Tisch kriegt jeder was zu essen.«
    Das stimmt, wir dürfen Hinz und Kunz mitbringen. Allerdings mache ich das seit zwei Jahren nicht mehr. In der Schule finde ich keine Leute, denen ich meine Familie vorstellen möchte. Eigentlich komisch.
    »Geh ihr nach. Sag ihr das«, schlägt Opa vor. »Das ist doch überzeugend.«
    Später versucht meine Mutter, sich zu erklären. Doch Mella liegt mit dem Kopf im Kissen oben auf dem Hochbett und stellt sich tot. Das kann sie stundenlang. Langsam geben alle auf. Sogar Omi.
    »Krieg dich ein!«, sage ich.
    Fauch! Sie hat rotgeweinte Augen, rote Wangen und feuchte Haarsträhnen im Gesicht. Meine Schwester – ein wütender Katzendrachen. Ich verschwinde. Im Rest der Wohnung verebben die letzten Streitwellenreste. Dann kräht Maria und alle gehen zur Tagesordnung über. Was soll man auch machen? Katzendrachen und Mathematikerinnenholzkopf? Mella lässt sich sogar das Abendbrot entgehen.
    Als die Großeltern weg sind, kommt meine Mutter noch mal zu uns ins Zimmer.
    »Mella, bitte, bring doch morgen Tom mal mit zu uns«, sagt sie. »Dann kann ich ihn endlich kennen lernen.«
    »Dass du so gemein sein kannst!

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