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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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mich hielt.
    Ich ging auf die Knie, steckte den Kopf durch die Pflanzen. Zwei Wege kreuzten sich im Blumenfeld. Wahrscheinlich war meine Exgroßmutter mit dem nächsten Schluck des Giftes – der tödlichen Dosis – auf der Suche nach mir. Ich krabbelte in das Blumenfeld zurück, richtete hinter mir die Halme wieder auf. Ich war zu schwach. Ich brauchte noch Zeit. Sie durfte mich noch nicht finden. Eine Lichtung in den Blumen. Ein kleiner lehmiger Platz. Ich malte Kreise auf die Erde. Einen für jeden Verwandten. Ich war der kleine Punkt in der Mitte. Jedenfalls konnte ich wieder scharf sehen. Ich machte durch jeden Kreis ein Kreuz, abgeschossen, tot.
    Aber ich hätte es wissen können. Die Handlungen meines Exgroßvaters, das Verhalten meines Exvaters, meiner Mutter passten zusammen. Ich war Großvaters Sohn. Je mehr Details und Vorgänge ich aus meiner Kindheit und Jugend hervorholte, umso mehr ähnelten sie Puzzleteilen, die das Bild meines Großvaters zu dem meines Vaters machten. Aber warum hatte er mich in der Maske des Großvaters gequält, abgerichtet wie ein Tier?
    Ich erhob mich, probierte meine Gelenke, meine Muskeln. Alles funktionierte wieder. Was hatte mir diese Frau ins Glas geschüttet?
    Ich robbte weiter vom Haus weg, das Blumenfeld öffnete sich zu einer Reihe von Gemüsebeeten und dann zu einer großen Wiese mit verkrüppelten Obstbäumen. Meine Exgroßmutter stand dort, erwartete mich. Sie hielt einen Krug und einen Becher in der Hand.
    »Ich dachte, ich müsste dir zuvorkommen. Schließlich bist du eine Art Killer. Das heißt, es würde mich nicht wundern, wenn du einer bist. Jedenfalls schien es mir, dass William Godin versuchte, dich dazu zu machen. Aber ich habe dich untersucht, du hast ja nicht einmal eine Waffe bei dir.«
    »Du wolltest mich vergiften?«
    »Nur ein bisschen. Ich musste vorsichtig sein. Das verstehst du doch.« Sie füllte den Becher. »Trink das. Es ist das Gegenmittel.« Ich lehnte ab. Sie hob die Schultern.
    »Kennst du das?« Sie zeigte auf die Bäume.
    Die Obstwiese war älter als die Häuser. Ich erinnerte mich, dass Großmutter früher, als ich noch klein war, oft von einem Garten gesprochen hatte, den sie vor der Stadt angelegt hatte. Er musste es sein. Ich erinnerte mich schwach, schon einmal hier gewesen zu sein.
    »Es ist die Familie«, sagte sie. »Hier lasse ich ab und zu meine Wut heraus. Im Gegensatz zu dir bin ich nämlich ein empfindsamer Mensch.«
    Ein hoher alter Birnbaum beherrschte das Bild. Er hatte viele Wunden in der Rinde, die nicht von selbst entstanden waren. Nägel steckten darin, Stahldraht würgte ihn. Es hatte ihn nicht umbringen können. In seinem Schatten wuchs nur, was er wachsen ließ. So hatten alle anderen Bäume – Apfel, Birne, Pfirsich, Pflaume, Kirsch – große Distanz. Nur ein kleiner Quittenbaum wuchs in seiner Nähe. Er war kümmerlich, aber zu alt, um ihn umzupflanzen. Erst wenn der Birnbaum gefällt war, würde er, würde ich Licht bekommen, um mich zu entwickeln. Ich entdeckte meine Mutter, eine alte Kirsche mit vielen vertrockneten und vom Schimmelpilz befallenen Zweigen. Ein Apfelbaum drehte sich krumm von ihr weg. Sie waren alle da, wuchsen schief und verkümmerten abgewandt voneinander. Mein Bruder, jetzt mein Neffe, streckte sich mit einem dünnen Zweig zu mir und mit einem anderen meinem Großvater entgegen, meinem jetzigen Vater, und konnte mit seinem hohlen Stamm nur mühsam das Gleichgewicht halten. Früchte würden an ihm nicht wachsen. Ich ging über die Wiese zur Quitte, vorbei an drei verfaulten Bienenstöcken, schon lange verwaist. Mein schmächtiger Ich-Baum besaß am Stamm eine Wucherung wie ein Kloß im Hals, als würde seine Kraft an dieser Stelle auf den Moment der Befreiung warten. Von hier aus erkannte ich, dass alle anderen etwa die gleiche Entfernung zu mir hatten. Nur mein Großvater besaß bedrohliche Nähe. Bei einem Sturm könnte das mürbe Holz durchaus brechen und auf mich stürzen.
    »Gordon!« Meine Großmutter folgte mir. Sie berührte die Zweige der Bäume.
    »Dies ist der Sorgengarten. Die Bäume tragen kaum Früchte und wenn, dann sind die Äpfel voller Maden, die Pflaumen und Kirschen verfault. Ich habe drei Bienenvölker in die Mitte gesetzt, aber sie gingen ein oder zogen fort. Eines Tages waren sie weg.«
    Sie forschte in meinem Gesicht. »Hier sollte sich niemand zu lange aufhalten.«
    Ich lächelte. »Dieser Teil ist dein alter Garten, nicht wahr?«
    Sie nickte.
    »Ich habe schon

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