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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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geriatrische Psychiatrie.«
    »Ist er verrückt?«
    »War er das jemals nicht?«
    »Was ist das für eine Sache, an der er gearbeitet, geforscht hat?«
    »Spinnerei. Er suchte nach bestimmten Kriterien Bodenschätze. Alles Unsinn.«
    »Kam nicht sein Vermögen daher?«
    »Schon sein Vater hat ihm mehr als genug hinterlassen. Und das kam bereits von dessen Großvater, der Kupferminen besaß, in denen wahrscheinlich Kinder arbeiteten, und der hatte wiederum sein Geld von seinem Vater. Ich glaube, der hatte es im Sklavenhandel gemacht. Lebst du nicht auch von diesem Geld, wie alle anderen?«
    Ich nahm das Glas mit dem Quittengelee, wog es in der Hand. »Warum machst du es nicht selbst?«
    »Weil er mich nicht empfängt.«
    »Hast du es versucht?«
    »Entweder halten die ihn in diesem Heim in Gefangenschaft, oder er will wirklich niemanden sehen. Aber dich würde er sehen wollen. Er würde wissen wollen, was aus dir geworden ist. Er hat einmal behauptet, er würde dich mittels negativer Vorgaben leiten.«
    »Was? Wie soll das gehen?«
    »Man sagt jemandem, er solle dieses oder jenes tun, und erwartet, dass er aus Protest genau das Gegenteil tut.«
    »Kann es sein, dass er mich hat beobachten lassen? Ich meine, die ganzen Jahre?«
    »Es sähe ihm ähnlich. Allerdings bedeutet es auch, dass er bei Verstand ist, bei verrücktem Verstand natürlich.« Sie zeigte auf das Glas. »Nimm es mit und entscheide selbst, ob du es ihm gibst.«
    Ich nickte, stand auf, hielt das Glas gegen das Licht. Der Inhalt war klar wie Bernstein und gleichmäßig geliert.
    Sie brachte mich zur Tür. Im Vorgarten arbeitete ein Schwarzer, zupfte Kraut zwischen den Blumen. Er hatte ein grünes Band im Haar.
    »Mein Zukünftiger«, sagte sie.
    »Warum willst du ihn heiraten?«
    »Er muss versorgt sein, bevor das Wachstum in die entscheidende Phase tritt.«
    »Sein Wachstum? Er dürfte schon an die fünfzig sein.«
    »Mach dir keine Gedanken über unseren Altersunterschied. Ich habe ihn aus Afrika mitgebracht, weil er sich damals eine Bohnenpflanze aus der Nase herauswachsen ließ und zu Größerem bereit war.«
    Der Schwarze grüßte, lächelte und arbeitete weiter.
    »Zu Größerem?«
    »Bohnen sind nicht geeignet. Sie halten nicht lange, sind nur einjährig. Diesmal wird es eine Pappelart. Sie hat gekeimt und treibt schon, streckt ihre Wurzeln nach seinem Gehirn aus. Verstehst du, welche Möglichkeiten sich auftun? Die vollkommene Verschmelzung von Mensch und Pflanze. Wir werden zum ersten Mal erfahren, wie eine Pflanze denkt.«
    Ich ging einen Schritt auf den Afrikaner zu. Das Band, das sich um sein Haar und seine Ohren schlängelte, war tatsächlich eine Pflanze mit zarten Blättern und gelblichem Stiel, die aus seinen Nasenlöchern wuchs.
    Ich ging zu Großmutter zurück. »Das ist doch Unsinn. Das geht doch nicht. Es ist eine Geschichte aus einem Buch. Das funktioniert nicht in Wirklichkeit. Und wenn, bringt es ihn um.«
    »Ich weiß. Es ist aus einem Buch. Aber alles, was ein Mensch sich ausdenken kann, kann auch Wirklichkeit werden, sonst könnte er es nicht denken.«
    Ihr Gesicht war wie Borke. Sie reichte mir einen ihrer dürren Äste. Ich schüttelte ihn zum Abschied. Ihr Lächeln knarrte. Über unsere Hände kroch eine Ameise, versteckte sich in meinem Ärmel.
    »Damals, als ich klein war, da hättest du verhindern können, dass er mich über Jahre manipuliert und quält.«
    »Hätte ich? Warum? Bin ich deine Mutter?«

8
    Alles, was ich mir früher auf dem Weg zur Hütte meines Großvaters eingeprägt hatte, war noch da. Die Bäume waren höher geworden, die Häuser zugewachsen, die Straßen schmaler. Im Vorbeifahren entdeckte ich ein Haus mit einem Turm hinter einer Reihe hochgeschossener Pappeln. Es hatte ein neues Dach bekommen, die Mauern waren damals weiß gewesen, jetzt leuchteten sie gelb durch die Bäume. An einer Abzweigung in einem Dorf der große Feldstein mit den eingemeißelten Namen der in den Kriegen gefallenen Soldaten. Er war von einem Zaun umfasst worden und die Dornenhecke über ihn hinausgewachsen. Der Stein war vom Moos befreit, die Namen glänzten golden. Aus einem Landgasthof war ein zweistöckiges Hotel geworden. Eine Tankstelle hatte sich in ein Getränkelager verwandelt. Auf einer Weide stand eine neue Fabrikhalle mit großen Parkflächen davor. Und auf den Wiesen gab es mehr Pferde als früher.
    Vor fünfunddreißig Jahren war für mich die Zeit in fünfunddreißig Jahren unvorstellbar gewesen. Auf jeden Fall

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