Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
ging in den Flur, aus einem Zimmer roch es nach Stroh und Heu. Ich öffnete die Tür. Auf groben Lattengerüsten lagen Strohsäcke, bildeten Sessel. Ich hörte sie im oberen Stockwerk rumoren. Sie kam herunter, ich schlich mich zurück in die Küche. Sie hatte sich das Haar gekämmt.
»Weißt du, dass es schon einen Gordon gab?«
»Onkel Frederik erzählte im betrunkenen Zustand so etwas Ähnliches.«
»Du hast Frederik getroffen? Und er trinkt noch?«
»Seine Tochter passt auf ihn auf.«
»Komisches Mädchen.«
Sie sah mir in die Augen und schwieg.
»Was ist?«
»Nichts. – Gordon war mein Ältester. William hat ihn für seine hirnverbrannten Ideen geopfert. Und später kam ihm Henriette genau richtig zwischen die Beine, um einen neuen Gordon zu zeugen. Ja, du bist nach ihm benannt worden. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, Henriette ließ sich im Gegenzug für dich von William ein Geständnis unterschreiben für einen Mord, den sie begangen hatte. Jedenfalls brüstete sie sich einmal mir gegenüber damit, als wir einen Streit hatten. Weißt du, sie war so schamlos, mit William und Frank gleichzeitig ...«
Sie knurrte, stand auf, stützte sich auf den Tisch. Dann nahm sie ihren Wasserbecher und schüttete mir den Inhalt ins Gesicht.
Ich wollte aufspringen, hatte aber Mühe hochzukommen, schüttelte mich.
»Oh, entschuldige. Ich gerate jetzt noch in Wut über diese Frau.« Sie holte ein Handtuch. Ich nahm es und legte es mir über das Gesicht.
»Es tut mir leid«, wiederholte sie. »Ich habe mich leider nicht in der Gewalt, wenn ich von William spreche.«
Mühsam stand ich auf, ließ das Handtuch fallen, wollte zum Fenster. Etwas ging in mir vor. Mein Magen weitete sich. Ein Schmerz durchzuckte meine Därme.
»Aber wenn ich sein Sohn bin, warum hat er dann diese Experimente mit mir gemacht?« Ich hatte nicht genug Luft zum Sprechen, ich musste raus aus der Dunkelheit des Hauses. Ich öffnete die Tür zum Garten.
Sie rief mir nach. »Dein vermeintlicher Großvater ist dein Vater, dein Vater ist dein Halbbruder, deine Cousine Helen ist deine Schwester.« Hinter mir lachte sie. »Was bin ich eigentlich? Sind wir verwandt?«
Ich betrat den Garten, meine Knie waren weich. Ich hatte Mühe, meinen Beinen das Gehen zu befehlen. Ich wankte einen schmalen Pfad zwischen hohen blühenden Pflanzen entlang. Sie überragten mich. Ich blieb in der Mitte der wogenden Blüten stehen. Ich wartete, schwankte mit den Blüten. Mir war schwindelig. Ich sah nur noch verschwommen. Farbflecke statt Blumen.
Ich schloss die Augen, öffnete sie wieder; alles blieb schwarz. Mit den Fingern zog ich meine Lider auseinander. Es wurde nicht hell. Was war das? Langsam zogen sich meine Sinne zurück. Das Verlöschen geschah bei vollem Bewusstsein. Gleich würde ich mich auflösen, verschwinden. Die Bienen und Fliegen stellten ihr Summen ein. Der Wind hörte auf zu rauschen. Ich streckte die Arme aus, versuchte etwas zu berühren, mich an etwas festzuhalten, aber da war nichts mehr. Es gab die Welt nicht mehr. Es gab mich nicht mehr. Nur da draußen war jemand, durchsuchte meine Taschen. Mein letzter Gedanke betraf meine Leichtsinnigkeit. Ich hatte Großmutter vertraut. Aber das Wasser war vergiftet gewesen. Ich hätte es wissen müssen.
7
»Gordon!«, rief jemand.
Ich sah nur das Blau des Himmels, durchzogen von einem dünnen weißen Fetzen. Ein Augenfehler. Netzhautablösung. Von der Seite ragten schwarze Linien in das Bild. Dann spürte ich meinen Hinterkopf. Ich lag auf dem Rücken. Aus den schwarzen Linien wurden Stängel großer Pflanzen. Ich roch feuchte Erde. Ich stemmte mich hoch. Ich lag in einem Blumenfeld. Für einen Moment wusste ich nicht, wie ich an diesen Platz gekommen war.
»Gordon?«, rief jemand, der einmal meine Großmutter gewesen war. Sie war es, die mir etwas ins Wasser getan hatte.
Ein blauer Fingerhut verbeugte sich vor mir, berührte mich im Gesicht. Waren die nicht giftig, ein Rauschmittel? Der Blütenstaub drang mir in die Nase. Er machte mich plötzlich leicht. Ich hatte kaum noch Gewicht. Die Droge ließ mich lächeln. Die Verwandlungen waren lustig. Mein Vater und mein Onkel waren jetzt meine Brüder, mein Bruder mein Neffe, mein Großvater mein Vater, aus meiner Cousine Salina wurde meine Nichte, mindestens halb. Alle waren nur noch halb. Und ich? Was war ich? Wo stand ich? Was wog ich? Wenn ich mich jetzt von der Erde abstieße, würde ich wie ein Luftballon davonfliegen. Kein Band, das
Weitere Kostenlose Bücher