Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
verschwunden war. Eine kleine Schlafkammer tat sich auf. Hunderte von Teddybären in unterschiedlichen Größen, Farben und Bekleidungen schichteten sich um ein kurzes Bett in die Höhe, betrachteten mich mit Knopfaugen. Es war kaum noch Platz. Zwischen den Stofftieren lag die Frau, hatte ihre Arme um den Kopf gewickelt. In der einen Faust hatte sie einen abgewetzten dunkelbraunen Teddy mit nur einem gelben Auge und herausgestreckter roter Zunge.
»Ich verstehe, Sie waren die Letzte in seinem Bett. Starb er an einem Herzinfarkt, als er kam?« Ich begann zu lachen. Das Lachen hörte nicht auf, schüttelte mich, machte mich vollkommen kraftlos. Ich lehnte mich an eine Wand. Eine Reihe Stofftiere stürzte zu Boden. Es reizte mein Lachen erneut.
Die Frau streckte mir ihre Faust hin, öffnete sie langsam. Das zweite Auge des Teddys lag darin, noch mit den abgerissenen Fäden. Sie ließ es fallen, stand auf und trat darauf. Dann nahm sie eine kleine Nachttischlampe mit einem gläsernen Schirm in die Hand, stellte sich auf Zehenspitzen und schlug mir mit aller Kraft die Lampe gegen den Kopf.
12
»Gibt es irgendetwas, das Sie nicht über mich wissen?« Ich saß auf dem Fußboden und lehnte an dem Tresen der Gastwirtschaft.
»Halten Sie still.« Die kleine Frau war dabei, mir ein Pflaster ins Gesicht zu kleben. Der Schlag mit der Lampe hatte mich zu Boden gestreckt, der zersplitterte Schirm mir in die Wange geschnitten. Mithilfe des Wirtes hatte sie mich in die jetzt leere Gaststube geschleift.
Sie legte den Kopf schräg, betrachtete ihr Werk. »Der alte Mann sprach sehr viel über Sie. Es war unausweichlich, alles zu erfahren. Und er ließ Sie überwachen. Es kamen einmal im Monat Berichte.«
Von meinem Platz aus konnte ich unter die Tische und Stühle am Fenster der Wirtschaft sehen. Der Parkettboden hatte dort dunkle Flecke, als wäre Öl aus den Kleidern der Gäste getropft. Ich bewegte leicht den Kopf, um zu prüfen, ob die Flecke nur in meinen Augen existierten. Sie waren Wirklichkeit, verfärbten sich, wenn ich mich bewegte, den Blickwinkel änderte. An einem Stuhlbein war ein Tropfen einer zähen transparenten Flüssigkeit herabgelaufen und, kurz bevor er den Boden erreicht hatte, erstarrt.
»Die Berichte. Gibt es die noch?«
Die kleine Frau knurrte, stemmte die Arme in die nicht vorhandene Taille. Ihr gelb-braunes Kleid lief gerade ihren Körper herab, bis es in Höhe der Hüftknochen unterhalb einer Naht Falten zu werfen begann. Dadurch wirkte sie kurzbeinig, obwohl die Länge der Beine vermutlich im richtigen Verhältnis zu ihrem Körper stand.
»Sag nichts, Wachse«, sagte der Wirt. Er beugte sich weit über den Tresen und betrachtete von oben meine Verletzung.
»Gute Idee. Wachsen Sie noch?«, fragte ich. Die Frau lachte.
»Ich heiße Wachse. Bei meiner Geburt war meine Behinderung schon zu erkennen. Und dieser Idiot, der mein Vater ist, gab mir den Namen Wachse. Er dachte, es hilft.«
»Na ja, man kann es ja mal probieren«, sagte der Wirt. »Und was heißt hier Behinderung. Du bist einfach nur kleiner. Mir gefällt es. Außerdem ist Wachse ein hübscher Name. Das ist friesisch, hab ich dem Standesbeamten gesagt. An der Nordseeküste heißen alle so. Der hat es geglaubt.«
Er kam hinter dem Tresen hervor und ging zum Fenster. Er schob ein paar rosa blühende Plastikblumen zur Seite, lehnte sich auf die Fensterbank und sah hinaus.
Wachse drückte das Pflaster auf meiner Wange noch einmal fest. »Es tut mir leid«, sagte sie.
Ich hob beide Hände, ergab mich. »War schon richtig.«
»Ich würde es wieder tun. Was haben Sie gegen Teddybären?«
»Was ist mit den Berichten über mich?«
»Alles lächerlich.«
»Das sagen Sie?«
»Ich bin ein Mensch wie Sie.«
»Das will ich nicht hoffen.«
Der Wirt unterbrach unser Spiel, informierte, dass in diesem Moment Petersen, der Polizist, vor der Gastwirtschaft vorfuhr. Der Polizist betrat das Lokal und war in Zivil. Er trug Jeans und ein blaues Hemd, das als letztes Zeichen seines Berufes Achselklappen besaß.
Der Wirt zeigte sofort auf mich, behauptete, ich wäre der Mörder. Als Beweis liefe mir ja immer noch das Blut am Kinn herunter. Er ging wieder hinter seinen Tresen und begann, ein Bierglas unter dem Zapfhahn zu füllen. Wachse hielt ein Papiertaschentuch in der Hand, spuckte darauf und wischte mir übers Kinn. Ich drehte den Kopf, versuchte, ihren Reinigungsbemühungen auszuweichen.
»Sie sollten ein anderes Kleid tragen«, sagte ich zu ihr.
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