Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

brauchbare Nachricht gefunden haben, wie können Sie dann wissen, dass es eine gibt?«
    »Brauchbare Nachrichten? Was ist das? Alles, was wir hörbar machen, ist eine Information, und sei es nur von der Entstehung eines Gebirges oder seines allmählichen Verschwindens.«
    Er grub tief in den Taschen seiner kurzen Hose. Der andere übernahm wieder. »Und Sie wissen doch, dass man auf andere Art und Weise, aber doch ähnlich, sagen wir, auf primitivere Art, also durch unterirdische Explosionen und die davon zurückgeworfenen Schallwellen zum Beispiel, Bodenuntersuchungen macht. Wenn nun die Erde ein Gebirge aufwirft, kann man dies mit erstarrten Schallwellen vergleichen.«
    »Wir besitzen unwahrscheinlich viele Informationen«, ergänzte der andere. »Es sind vermutlich mehr, als wir gebrauchen können.«
    »Wir wissen also genau, dass da etwas ist.«
    »Das wissen wir.«
    Wachse mischte sich ein. »Die andere Theorie dürft ihr nicht verschweigen. Es ist die mit den Außerirdischen oder Gott.«
    »Die Erde«, sagte einer, »ist erschaffen worden – jetzt mal egal, von wem. Jedes Gebirge ist also eine Nachricht, ein Hinweis, den man schon aus großer Entfernung, vom Himmel aus oder aus dem All, lesen kann. Da sich die Gebirgsformen wiederholen, lag es ja nahe, sie als Schriftzeichen zu deuten. Das war lange Zeit William Godins Untersuchungsansatz. Er suchte das Alphabet der Erde. Und er fand es. Es besteht aus sechs dreidimensionalen Grundzeichen, die je nach Winkel und Höhe eine andere Bedeutung haben und einhundertzweiundsechzig Buchstaben darstellen. Lesen konnte er die Gebirge trotzdem nicht. Seine zweite Idee war, dass die Gebirge künstlerische Zeichen sind, Bilder, die man nicht in einer bestimmten Reihenfolge lesen kann, sondern nur in ihrer Gesamtheit. Eine Art Schrift der Emotionen. Das Verrückte war, er hatte mit beiden Methoden einige Erfolge. Er fand Orte mit seltenen Metallen. Aber es war wohl Zufall. Erst durch uns ist er darauf gekommen, dass Berge und Täler auch Tonhöhen und -tiefen sein könnten. Bei dieser Untersuchungsmethode kommen seine beiden Ansätze zusammen. Tja, und daran basteln wir. Banal gesagt: Wir suchen die Symphonie des Goldes, das Lied des Silbers und so weiter.«
    Der Zweite holte einen kleinen drehbaren Globus unter einem Tisch hervor. Er versetzte ihn in eine Rotationsbewegung. »Stellen Sie sich vor, die Erde ist eine altmodische Schallplatte. Sie dreht sich mit einer hohen Geschwindigkeit. Eine Umdrehung in vierundzwanzig Stunden. Wir setzen die Nadel eines Plattenspielers am Äquator auf und spielen die Erde ab. Was würden wir hören?«
    »Ich führe es Ihnen vor«, sagte Wachse. Dann stieß sie einen schrillen, lang gezogenen Schrei aus, der ein paarmal seine Tonhöhe variierte. Ich hielt mir die Ohren zu.
    »Das Lied der Erde.« Sie verbeugte sich.

14
    »Sie müssen die Fragen stellen, und an der Art, wie Sie sie stellen, kann ich erkennen, ob Sie wirklich eine Antwort wollen.«
    Wachse war mit mir an die Ostsee gefahren. Wir spazierten die beleuchtete Promenade bei Dahme entlang. Es war schon spät, nur wenige Urlauber unterwegs. Die Schulferien und die Hochsaison für das kleine Ostseebad hatten noch nicht begonnen. Wir gingen über den dunklen und leeren Strand bis ans Meer. Sie zog die Schuhe aus und prüfte mit den Zehen die Wassertemperatur. Ich setzte mich in den Sand und lehnte mich an die Seite eines Strandkorbes. Sie kam zurück, setzte sich neben mich. Von weitem wirkten wir sicher wie Vater und zehnjährige Tochter.
    »Vielleicht ist es besser, ich frage nicht. Erzählen Sie mir von ihm, was er Ihnen über mich berichtet hat.«
    »Seit einiger Zeit hat er Ihr Kommen vorbereitet. Sie sollten an ihn erinnert werden, und das sollte Sie zu einem Besuch provozieren.«
    »Sie meinen, er wollte, dass ich ihn töte?«
    Sie nickte. »Haben Sie es nicht?«
    »Sie glauben, ich ... Aber ich sagte Ihnen doch, ich kam zu spät.«
    Sie sah mich von der Seite an. »Ja, sicher.« Sie glaubte mir nicht. »Sie sind vierzig, unverheiratet, keine Kinder, keine Freunde, nicht wahr? Ihre Identität ist ohne akzeptable Vaterfigur zustande gekommen. Auch Ihre Mutter spielte wohl eher eine irritierende Rolle. Er behauptete, dass die Anlässe für Ihre Entwicklungsschritte jeweils eine Protesthaltung waren, gegen die Wünsche Ihrer vermeintlichen Eltern und gegen seine Wünsche.
    Sie sind unabhängig von einem klassischen Familiengefüge aufgewachsen. Keine Geborgenheit. Im Gegenteil,