Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
Ich ging auf Speck, murmelte immer noch die Zahlen der Telefonnummer. Falsche Reihenfolge. Meine Hand am Mobiltelefon. Auf dem Bildschirm kondensierte der Schweiß. Ich war dabei, mich in ein Stück Seife zu verwandeln. Es bestand die Gefahr, in Kürze keine Tasten mehr drücken zu können, ohne daran abzurutschen.
Ein Schweißtropfen löste sich von meiner Stirn, fiel herab und explodierte vor mir auf einer Fußwegplatte. Er löste sich auf und hinterließ ein kleines Loch.
14
»Spring!«, sagte die Stimme meines Großvaters.
Der Hausmeister hatte die Gießkanne geleert. Er war nicht mehr zu sehen. Die dunkle Wasserzunge streckte sich aus dem Hauseingang, legte sich über die Stufen und lag matt auf dem Fußweg, versperrte mir den Weg. Schwarz, geschwollen, mit einer Staubkruste.
»Geh zurück!«, befahl die Stimme meines Großvaters.
Das Wasser bildete ein L mit Beulen. Ausgerechnet ein L, der langweiligste Buchstabe des Alphabets. Danke, kein Interesse, L besitze ich in Mengen. Ich blieb davor stehen und stellte die Verbindung zu dem Antiquitätengeschäft her. Die Stimme einer alten Frau mit einem Buckel.
»Ich war eben vor Ihrem Laden.« Das Mobiltelefon quietschte, rutschte mir fast aus der Hand.
»Ich habe Sie gesehen. Ich habe Ihr Gesicht gesehen.« Die Stimme veränderte die Tonlage, wurde jünger, hatte einen leichten Hall.
»Sie haben da im Fenster etwas, ein Ding, einen Holzkasten, so eine Art ... Ich weiß leider auch nicht genau, wozu ...«
Die Stimme unterbrach mich: »Ich glaube nicht, dass ich Ihnen öffnen werde.« Die Stimme meiner Mutter.
»Wie? Ich verstehe nicht.«
»Ich öffne Ihnen nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Ich habe Ihretwegen abgeschlossen.«
»Aber warum?«
»Sie hätten sich selbst sehen sollen. Ich bin allein. Sie machen mir Angst.«
Es gefiel mir, jemandem Angst zu machen.
15
Mit der Stimme am Telefon war das Bild einer grauhaarigen Frau einhergegangen, unzählige Falten im Gesicht. Die Stimme gehörte zu einem mageren Körper, der nur noch von fester Kleidung zusammen und am Leben gehalten wurde. In meiner Vorstellung gehörte die Stimme einer Frau, die bald sterben würde.
Tatsächlich war es ein Mädchen von vielleicht Mitte zwanzig. Aber es hatte diese Stimme. Die junge Frau wirkte wie eine Studentin. Besaß Augen und dunkle Haut wie eine Asiatin. Die schwarzen langen Haare waren straff zurückgebunden. Sie öffnete mir die Tür des Antiquitätengeschäftes und sprang zurück. Aus der Dunkelheit des Ladens und aus einem Grab heraus sagte sie: »Guten Tag.«
»Danke.« Ich lächelte sie an. Sie floh weiter nach hinten, blieb im Schutz eines Sekretärs stehen, umklammerte dessen Rand.
Ich blieb an der Tür. »Ich bin unbewaffnet. Harmlos.« Ich hob meine Hände, drehte ihr die Handflächen zu. Ihre Augen blieben schmal.
Der Laden roch nach Öl. Die dunklen Möbel, Kommoden, Spiegelschränke standen dicht nebeneinander entlang rot glänzender Wände. Ein Geviert aus Schreibtischen in der Mitte mit einem Wald aus unterschiedlichen Messinglampen darauf. Von der Decke wuchsen ihnen andere Lampen mit goldenen Stangen und Milchglasschalen entgegen. Am Fenster kleine Schränke und Stühle mit roten Polstern. Möbel für Liliputaner. Und dann, auf einem runden Tisch, der Kasten meines Großvaters. Ein Fremdkörper.
Vorsichtig trat ich einen Schritt in den Laden hinein. Sie wich sofort weiter zurück. Hinter ihr befand sich eine Tür. Ihre langen dünnen Finger wanderten auf dem dunklen Holz des Sekretärs entlang. Zwei weiße Spinnen.
»Sind Sie das?« Sie legte den Kopf schräg. Ihre Stimme schwankte zwischen den Tonlagen. Kam von ganz oben, wurde immer tiefer. »Sie waren das doch vorhin? Am Fenster?« Sie beantwortete sich die Frage mit Grabesstimme selbst: »Sie sind es.«
Sie drehte ihren Körper der Tür zu. Ein Fluchtweg. Ihre Lippen von der Länge ihrer Finger, gleich dick und ebenso farblos. Ihr Profil mit der flachen Nase eines geschlagenen Boxers. Nur kleiner, zu klein. Der Schwanz ihrer langen dunklen Haare rutschte über die Schulter.
»Gibt es weiße Spinnen?«, fragte ich, ohne den Blick von ihren bleichen Fingern zu nehmen. Mal sehen, ob sie es begriff.
»Ich möchte es annehmen. Aber wir führen sie nicht.« Die Stimme wieder hoch.
»Es ist nur wegen Ihrer Hände«, sagte ich.
Ihre Finger sprangen von den Verzierungen des Sekretärs und versteckten sich hinter ihrem Rücken.
»Was wollen Sie?« Die Stimme tief.
»Sie müssen wirklich
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