Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
Hände waren voller gelber Hornhaut, wie Berge. Zerschnittene, aufgerissene Haut mit gelben leuchtenden Rändern. Nägel wie Hufe.
Ich war sechs, noch ein Leichtgewicht. Er packte mich am Kragen, hob mich hoch und ließ mich fallen. »Bau sofort ein Gebirge! Oder du wirst sterben!«
Ich begriff seine plötzliche Verwandlung nicht. Durch die Tränen blinzelte ich in die Sonne, duckte mich in den Schatten der zum Schlag erhobenen Hand. Vor mir auf dem Weg zur Hütte stand der Kasten, mit nassem Gemisch aus Sand und Lehm gefüllt. Eben noch hatte mich mein Großvater mit Schokolade gefüttert. Mir ein Stück nach dem anderen in den Mund geschoben.
»Bau ein freundliches Gebirge, bau, so gut du kannst, ein nettes Gebirge. Eines wie Schokolade.« Sein Eukalyptusatem dicht an meinem Ohr. Ich hatte eine kleine Landschaft aus dem feuchten Sand geformt. Er hatte mich gelobt, seine Kamera geholt. Immer fotografierte er meine Spielzeuggebirge. Dabei drehte er den Kasten, damit die kleinen Berge von allen Seiten beleuchtet wurden. Oder er machte Schatten mit den seitlich angebrachten Klappen. Die elektrische Beleuchtung kam erst später dazu.
Plötzlich stampfte er mit dem Fuß auf, brüllte, alles sei schlecht. Mit einem Schlag der flachen Hand zerschlug er die kleine Landschaft. Er packte mich, schüttelte mich und lies mich vor dem Kasten fallen.
»In dieser Welt kann keiner leben!«, schrie er. »Los, ein anderes Gebirge! Ich will ein anderes Gebirge!«
Er trat nach mir, stieß mir seinen Schuh in die Seite und drohte mit der erhobenen Faust.
»Los, mach neue Berge!« Die Spucke sammelte sich auf seiner Lippe. »Schneller, oder ich schlage dir den Kopf ab!«
Ich biss mir auf die Lippen. Mein Rotz schmeckte nach Blut. Ich rieb mir die Augen, und rote Flüsse liefen über meine Fäuste. Vielleicht war es wirklich Blut gewesen. Die Hand des Großvaters traf mich im Gesicht. Von der Wucht des Schlages fiel ich mit dem Kopf auf den Kies. Der Alte war sofort über mir, griff unter meine Arme, zerrte mich zurück. Er richtete mich vor dem Kasten auf, boxte mich.
»Mach Berge!«, schrie er. »Mach Berge, oder ich bringe dich um!«
Ich griff in den nassen Sand, häufte die Masse hastig zu einem spitzen Hügel an, wollte flüchten. Doch die Hand des Großvaters umklammerte meinen Nacken, drückte mich nieder.
»Weiter! Schneller! Es geht um Leben und Tod!«
Ich klatschte den Sand zwischen den Händen, formte ihn grob, schlug Täler mit der Faust hinein.
»Jetzt hör auf!«, brüllte der Großvater. Er ließ mich los. Ich sprang hoch und flüchtete zur Hütte, rollte mich unter die Holzveranda. Mäuse und Ratten wohnten dort. In meinen Träumen krochen sie mir in die Ärmel. Aber unter den Holzbohlen konnten mich die langen Arme meines Großvaters nicht erreichen.
Er lachte, tanzte fast, rief, es wäre nur Spaß gewesen, ich solle zurückkommen. Ich lag flach auf dem Bauch, mein Atem wirbelte feinen grauen Staub auf. Vielleicht waren das einmal Mäuse gewesen, zu Staub zerfallen, hier unten verhungert aus Furcht vor dem großen Mann in den braunen Cordhosen, dessen Ansprüchen niemand gerecht werden konnte, der jeden schütteln konnte, bis ihm das Genick brach. Ich schmeckte den Staub auf meiner Zunge. Er war grau und süß. Viel süßer als Zucker. Mäusefleisch.
Aus meiner Deckung heraus beobachtete ich, wie der Alte die neue Landschaft in dem Kasten fotografierte. Zwischen den Aufnahmen neigte er seinen Kopf tief herab, um unter die Terrasse zu schauen, lachte und winkte. Alles sei nur Spaß. Er habe doch nur so getan.
Mehrmals hatte ich versucht zu fliehen, doch das Grundstück war von einem Gitter umgeben. Seine eisernen Stäbe stachen in den Himmel und reichten tief in den Erdboden hinein. Wegen der Kaninchen. Beide Seiten waren von Gebüsch und Bäumen sorgfältig frei geschlagen worden. Mein Großvater hatte sogar behauptet, das Eisen sei elektrisch geladen. Doch das stimmte nicht.
Einmal in der Woche ließ er mich allein auf dem Gelände zurück, um einzukaufen. Dann schleppte ich Bretter an den Zaun heran, baute primitive Gerüste, stapelte Kisten, aber alles genügte nicht, um in Freiheit zu gelangen. Doch vielleicht hatte ich es damals nur nicht mit genug Nachdruck versucht, weil mir die Welt draußen auch wie ein Gefängnis erschien.
Wenn Großvater zurückkam, ging er über das Gelände, um meine Ausbruchsversuche zu betrachten; dann wickelte er langsam eines der frisch gekauften Eukalyptusbonbons aus,
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