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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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etwas, von dem Sie nicht wissen, was es ist?«
    Ihre Lippen zogen sich zusammen. Ich ging zur Tür, überließ ihr den Raum. Sie näherte sich dem Fenster und legte einen Finger auf den Rand des Kastens. Wahrscheinlich wollte sie testen, ob sie ebenfalls zu zittern begann.
    »Es ist immer der Käufer, der den Gebrauch des Objektes definiert.« Sie lächelte, legte den Kopf schräg. »Ich dachte, wir hätten uns verstanden.«
    »Sie haben recht, es ist überall so. Wir kaufen nur Erinnerungen, Versprechungen, Wörter, Lügen, den Schein.«
    »Also sollten Sie Ihren Augen nicht trauen.« Sie reckte ihren Oberkörper. Sie war ein dunkler und kluger asiatischer Halbmond. Eine magere Wölfin. Sie war das Gegenteil von Scotty, dem orangefarbenen europäischen Vollmond, dem Kater am Ofen. Und sie war jung, halb so alt wie ich.
    Sie warf mit einer Drehung des Kopfes ihr Haar zurück, entblößte ihren Hals. Ich erkannte die Geste. Sie bot mir die Möglichkeit eines Spiels.
    »Manchmal genügt Verkäuflichkeit, um Begehren zu wecken«, eröffnete ich.
    »Am Ende fühlt man sich betrogen.« Ihr Zug.
    »Weil man sich von seinen Gefühlen hat leiten lassen.« Eine Offensive.
    Sie hob die Brauen. »Mörder oder Liebhaber?«
    »Auf den Augenblick des Rausches folgt die ewige Ernüchterung.«
    »Sie verkaufen sich gut«, sagte ich. »Was aber wollen Sie mir verkaufen?«
    »Sie müssen das definieren, sonst funktioniert der Betrug nicht«, sagte sie.
    »Sie haben schon wieder recht.«
    Sie bewegte eine der Holzplatten an dem Kasten, mit denen der Großvater das Licht gelenkt hatte. »Also, aus welchen perversen Fantasien resultiert die Lust zum Kauf?«
    »Erniedrigung, Enttäuschung, Wut. Ich kann das nicht so genau bestimmen. Es ist alles neu für mich.«
    »Oh«, sie runzelte die Stirn. »Das ist das Gegenteil der üblichen Motive: Liebe und Sexualität. Das wird teuer.«
    Ich dachte daran, wie viel Scotty wohl bekommen hatte. Ich hätte jetzt doch gern gewusst, wie viel ich wert gewesen war.
    »Jetzt kennen Sie meine Motive, nennen Sie Ihren Preis.«
    »In unserem Geschäft ergibt sich der Preis aus der Begierde des Käufers.«
    »Ich soll eine Summe sagen? Das können Sie nicht verlangen.« »Kommissionsware. Der Lieferant des Kastens hat den Preis noch nicht genannt. Sie verstehen?«
    »Sprechen Sie von Gott? Dann können Sie lange warten, dass er Preisschilder verteilt«, sagte ich.
    Sie lachte plötzlich laut, dabei schwankte ihre Stimme, stürzte von weit oben in die Tiefe. Sie schlug sich die Hand vor den Mund. Wissen Sie, dass wir in unserem Gewerbe die Lieferscheine oft Geburtsurkunden nennen?« Ihre Stimme piepste.
    Sie kam nach vorn, langte nach meiner Visitenkarte, nahm sie mit zwei Fingern auf, als wäre sie giftig oder voller Bakterien. Sie war jetzt so nah, dass ich sie riechen konnte. Teer. Ein asiatisches Parfum?
    »Ich könnte in den Lieferscheinen nachsehen, ob dort etwas notiert wurde, Herr Paulson.« Sie las meinen Namen ab.
    Ich schnupperte in ihre Richtung. »Sie würden mich glücklich machen.«
    Wir grinsten uns jetzt offen an. Und sie sagte, was ich erwartet hatte: »Das ist unbezahlbar. Jedenfalls muss ich das an dieser Stelle antworten.«
    »Richtig.«
    Sie war nah, hob ihren Kopf. Ihr Mund lag weit zurück zwischen Nase und Kinn. Eine winzige Zunge fuhr über die dunklen Lippen. In einem Spielfilm hätte der Mann sie jetzt geküsst. Hier konnte es eine Falle sein. Vielleicht hatte sie mir ihre Angst nur vorgespielt.
    Ich habe den Umgang mit Emotionen nur im Kino gelernt. Denn natürlich wusste ich, dass mir etwas fehlte. Gefühle. Ein Mangel vor allem dann, wenn es darum ging, andere Menschen zu verstehen, auf ihre Empfindungen erwartungsgemäß zu reagieren. Durch die Filme lernte ich Gefühle wie eine Fremdsprache.
    Hinter dem Mädchen, auf der verschmutzten Leinwand des Schaufensters, gingen plötzlich viele Menschen vorüber. Alte Gebeugte begegneten jungen Tänzelnden. Gegen das Licht wirkten sie alle schwarz. Die Kleider hingen an ihnen herab, als wären sie einem Moorbad entstiegen. Die Asiatin drehte den Kopf, folgte meinem Blick. Den Rücken an die Schreibtische gepresst, ging sie im Krebsgang zurück. Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich glaube«, sagte sie leise, »fast hätten sie mich rumgekriegt.«
    Jetzt identifizierte ich ihren Duft. Es war kein Parfum. Es war der Geruch von Brand.

18
    Es brannte nicht. Die Wolldecke brannte nicht. Die kleine Flamme des Feuerzeugs verfing an den einzelnen

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