Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
Schmerzende Hacken, vielleicht auch zu hohe Absätze. Oder sie ließ sich von meinem Blick verunsichern, der hinaufging, ihre Hüften suchte. Die Kleidung vertuschte nichts. Sie besaß nicht viel Weiblichkeit. Sie drückte die Klinke der Tür so langsam und leise, als beträte sie das Zimmer eines Schlafenden. Der Raum war dunkel, sie ging hinein und zog die Tür hinter sich zu.
Der Brandgeruch blieb mir in der Nase, aber die anderen Gerüche des Antiquitätengeschäftes mischten sich jetzt ein, stritten um Vorrang. Öl, Wachs, Lösungsmittel und ein wenig Gift gegen Holzwürmer.
»Ich könnte in den Lieferscheinen nachsehen, ob dort etwas notiert wurde, Herr Paulson«, wiederholte ich leise mit hoher Stimme.
»Sie würden mich glücklich machen«, sagte der Wolf.
»Das ist unbezahlbar«, piepste ich.
Das Mädchen besaß ein ungewöhnliches Gesicht mit ihren Fingerlippen, der breiten Nase und der Knabenfigur. Aber sie hatte Witz. Unsere Unterhaltung war auch von ihr aus absichtlich zweideutig gewesen.
Ich ging bis zu dem Sekretär, an dem sie sich festgehalten hatte. Ein Aufbau mit Brieffächern, die links und rechts je von einem Metallstab eingefasst waren, möglicherweise ehemalige Lampenfüße, abgebrochen und glatt gefeilt. Ich zog die große Schublade auf. Ein Informationsblatt lag darin. Das Möbelstück kostete mein halbes Jahreseinkommen. Es sollte aus dem 18. Jahrhundert stammen. Angeblich hatte es zuletzt auf einem Piratenschiff in der Kapitänskajüte gestanden. Und es besaß zwei verborgen eingearbeitete Florette als geheime Waffen in der Not.
Jetzt begriff ich die Funktion der Metallstützen. Es waren Griffe. Ich zog daran, doch sie bewegten sich kaum. Der rechte Knauf war etwas locker, löste sich aber nicht. Ich fand die Verriegelung unter der Schreibplatte, dort, wo die Spinnenfinger des Mädchens gelegen hatten. Ich drückte auf das Holz, es gab nach, und eine Federmechanik ließ das rechte Florett etwa zehn Zentimeter aus dem Schreibtisch in die Höhe schnellen. Das also waren ihre Fingernägel, mit denen sie mich rasieren und mir bei Bedarf die Kehle durchschneiden wollte.
Ihr Geschäft war der Betrug. Sie war während der ganzen Zeit unseres Gespräches bewaffnet gewesen. Ich zog die Waffe ein Stück heraus, betrachtete die Klinge. Ich sollte sie bei ihrer Rückkehr über meinem Knie zerbrechen und ihr vor die Füße werfen. Ein Filmpirat würde so handeln. Ich drückte das Florett zurück, bis es einrastete.
»Hallo!«, rief ich laut. »Der Schreibtisch ist eine Fälschung. Er stammt aus dem Film Der rote Korsar mit Burt Lancaster oder so ähnlich.«
Keine Antwort.
»Hallo, hier ist alles gefälscht!«
Ich klopfte an die Tür, wartete nicht lange, sondern drückte die Klinke herunter. Schwaches grünliches Licht. Stühle stapelten sich in die Höhe. Ein wirres Alphabet. Weitere Schränke, Schreibtische übereinander. Eine schmale Gasse dazwischen, die zu einer kleinen Toilette mit offen stehender Tür führte. Vergitterte Fenster. Durch eine andere Gasse gelangte ich zu einem Schreibtisch mit einer grünen Schirmlampe darauf. Ordner und Papiere stapelten sich. Daneben eine Metalltür, wahrscheinlich der Hinterausgang.
»Hallo!« Sie war nicht da. Ich rüttelte an der Tür. Sie ließ sich nicht öffnen. Kein Schlüssel. Die Asiatin war geflohen.
»Komm zurück und kämpfe!«, rief ich. »Es nützt nichts, eine Waffe zu besitzen, man muss sie auch als Erster anwenden. Alte Piratenregel.«
Die Ablagekörbe auf dem Schreibtisch quollen über. Ich ging die oberen Papiere durch und fand den Lieferschein für meinen Kasten. Bezeichnung: Modellkasten, 19. Jahrhundert. Ein Preis war nicht angegeben. Die Firma, die ihn geliefert hatte, war das Filmstudio meines Bruders, Martin Godin.
Es überraschte mich nicht. Mein Bruder hätte genauso viele Gründe gehabt, das Monstrum zu vernichten, wie ich. Aber es entsprach ihm mehr, das verhasste Stück zu Geld zu machen. Alles deutete darauf hin, dass mein Großvater gestorben und der Kasten aus der Erbmasse war.
Ich ging nach vorn. Jetzt begriff ich. Der Alte war tot. Ich gehörte auch zu den Erben. Meine Familie hatte mich durch Scotty ausforschen lassen, um Möglichkeiten zu finden, mir das Erbe vorzuenthalten. Sie konnten nicht wissen, dass ich sowieso nichts annehmen würde. Selbst nach Großvaters Tod sollten mein Vater und meine Mutter nicht glauben, ein Erbe würde mich für meine Qualen entschädigen.
Ich ging rasch wieder nach vorn,
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