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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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wollte den Laden verlassen. Aber auch die Ladentür war jetzt verschlossen. Das Mädchen stand davor, hielt den Schlüssel in der Hand.
    »Was ist los?«, fragte ich durch die Scheibe. »Was hat mein Bruder über mich erzählt?«
    Sie hob die Schultern.
    »Was habe ich getan? Muss man mich einsperren?« Ich war sicher, sie verstand mich durch das Glas. Ihre Haut um den Mund nahm wieder die grüne Färbung an. Sie schien sich teilweise in Holz zu verwandeln.
    Es lag am Kasten meines Großvaters. Seine Wirkung verformte die Menschen, veränderte ihre Haut und ihr Bewusstsein. In seiner Gegenwart verloren alle den Verstand.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Kann ich etwas tun?«
    »Schreiben Sie die Lösung für alles auf einen Zettel, und schieben Sie ihn mir unter der Tür zu.«
    Ich ging zurück in den hinteren Raum, fand einen Notizblock und schrieb: »Betrachten Sie nur die Oberfläche.«
    Sie nahm den Zettel, las ihn und steckte den Schlüssel in das Schloss, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich trat einen Schritt vom Ausgang zurück. Sie stieß die Ladentür weit auf.
    »Danke«, sagte ich.
    Ich verließ den Laden. Sie wankte zurück, ging bis zum Rand des Fußwegs, um mir auszuweichen. Sie sah mich nicht an, betrachtete den Boden. Das Grün überzog ihr gesamtes Gesicht.
    »Ich brauchte Zeit. Ich musste nachdenken«, sagte sie.
    »Nachdenken? Über den Preis?«
    »So ungefähr. Ich bin ein Feigling.« Hier draußen in der Sonne wirkte sie wie ein vereinzelter Kegel. Alle anderen waren von der Kugel umgeworfen worden. Sie stand noch.
    »Sie sind ein Feigling, gut, aber da drinnen waren Sie bewaffnet«, sagte ich. »Ich hab das Geheimnis des Piratenschreibtisches entdeckt. Sie glauben doch nicht, dass der echt ist?«
    »Ich dachte, ich laufe einfach weg. Aber dann habe ich die Tür hinter mir abgeschlossen.« Sie legte die Arme wie zwei schwere Riegel vor ihren Körper. »Es schien mir plötzlich eine gute Idee, Sie einzuschließen.
    »Kennen Sie meine Mutter? Sie machte das auch mit mir.«
    »Aber hier vorn auf der Straße fühle ich mich sicher«, sagte sie.
    »Vor wem?«
    »Am meisten vor mir selbst.« Sie blickte immer noch nicht auf, ging bis an den Rinnstein, lehnte sich an ein geparktes Auto. Vielleicht besaß es auch eine verborgene Waffe. Der Seitenspiegel als Schwertknauf.
    »Sie halten sich für unberechenbar?«
    »Nein, das Problem ist meine Oberfläche. Ihr Zettel war gut. Sie haben genau das Richtige aufgeschrieben. Hat Ihnen jemand etwas über mich erzählt?«
    »Nein.«
    Sie sah an ihrem dunklen Sportanzug herab auf ihre schwarzen Schuhe, die vorn offen waren. Sie bewegte die Zehen. Kleine gefangene Tiere.
    »Sehen Sie mich an«, forderte ich, »denn ich möchte Sie ansehen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich sagte doch, die größte Gefahr für mich bin ich selbst.«
    Unser Spiel ließ sich nicht wieder aufnehmen. »Ich möchte ...«, sagte ich. Aber sie schnitt mir das Wort mit einer Handbewegung ab. »Gehen Sie. Ich werde den Preis für alles ermitteln und mich bei Ihnen melden.«
    Eine zweite Scotty?
    Sie sprang an mir vorbei in den Laden und schloss die Tür hinter sich. Die Sonne war ein Stück gewandert. Der Kasten stand nicht mehr im Licht. Ich wartete, suchte das Bild meines Schattens. Es stellte eine Art Echse dar. Ein Krokodil vielleicht. Ich wartete einfach weiter vor dem Laden. Ich dachte, sie müsste noch einmal herauskommen, um sich von mir in den Arm nehmen zu lassen. Als Mutprobe. Als Klammer für Körper und Geist. Um alle ihre Teile zusammenzuhalten, die nicht zusammenpassten. Nur die Oberfläche würde zählen.
    Es war noch etwas offen, unvollendet.
    Mit diesem Mädchen musste etwas sein, das ich nicht gesehen, nicht bemerkt hatte. Mein altes Leiden. Ich war ein Radio ohne Antenne, ein See, der nicht spiegelte, dessen Oberfläche keine Wellen erzeugte, wenn jemand einen Stein hineinwarf.
    Mit Scotty hatte sich etwas verändert. Aber noch nicht genug. Wenn mir etwas gezeigt hatte, wie sehr mich mein Großvater verbogen hatte, dann diese Szene in dem Laden. Irgendwann war ein falsches Wort gefallen. Da war ein falscher Ton. Eine misslungene Reaktion.
    Ich wartete, drehte mich, probierte neue Schattenbilder meines Körpers. Buchstaben gelangen kaum. Es war mehr der Versuch, mich von meiner Gegenwart zu überzeugen.
    Dann kam sie tatsächlich zurück. Sie blieb aber innen vor der Tür stehen, blickte mich an, als wäre ich nicht da. Gefangene eines Gedankens.
    Sie kniete

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