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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Fäden, vergrößerte sich kurz und schrumpfte zu einem kleinen roten Punkt. Ich blies auf die Glut. Sie fraß ein Stück des dicken Gewebes und verlosch.
    Ich tastete weiter. In der Dunkelheit unter der Veranda bekam ich trockenes Laub zu fassen. Entzündet loderte es auf, aber ich fand nicht schnell genug weitere Blätter, um das Feuer in Gang zu halten. Ich brauchte Papier und dünne Zweige, um die Hütte in Brand zu stecken.
    Ich lauschte nach meinem Großvater. Alles blieb ruhig. Langsam robbte ich unter der Veranda hervor. Mit angehaltenem Atem schlich ich bis an das Küchenfenster. Der Alte saß auf dem Sofa, war tief in die Polster eingesunken, die Augen geschlossen. Das Hemd war aus der Hose gerutscht, das zugeknöpfte Jackett hatte sich ihm unter die Arme geschoben. Der Kopf ragte aus dem Kragen, war Holz mit Rissen und tiefen Spalten an den Wangen. Er würde gut brennen.
    Ich schlich hinter das Haus zu den Holzstapeln. Aus Spänen und Laub bildete ich an der Rückwand einen Haufen. Ich legte größere Scheite darüber. Wie man Feuer macht, hatte ich oft genug bei Großvater beobachten können. Wenn es mir gelang, würde der Alte wie ein Braten im Backofen liegen.
    Ich rieb am Feuerzeug, die Flamme war kleiner als am Anfang. Und bevor ich das Laub erreichte, zog sie sich zurück. Ich scheuerte mir den Daumen an dem Rad wund, aber die Flamme kam nicht wieder zum Vorschein. Ich ließ die Funken vom Feuerstein auf die Blätter überspringen. Sie waren zu klein, und es waren zu wenige. Ich warf das Feuerzeug von mir, drehte mich um, stieß gegen die Beine meines Großvaters. Er hatte meine Versuche beobachtet. Jetzt packte er mich am Genick, beugte sich herab, um den aufgeschichteten Haufen zu betrachten.
    »Warte«, sagte er und holte mit der freien Hand eine Schachtel Streichhölzer aus der Hosentasche. »Hier, nimm die.« Er drückte sie mir in die Hand und gab mich frei.
    Ich ließ mich fallen und rührte mich nicht.
    »Na, los«, forderte er mich auf. Er war ein Stück zurückgegangen. »Mach schon!«
    Ich schob die Zündholzschachtel auf, holte eines heraus, hielt es in die Höhe. Der Großvater nickte mir zu und lächelte. Ich rieb ein Holz an. Es brannte. Ich ließ den alten Mann nicht aus den Augen und näherte mich dem Haufen. Das Lächeln auf dem Gesicht des Alten blieb. Ich warf die Flamme in das Laub, sprang auf und lief bis zur Ecke der Hütte. Die trockenen Blätter brannten, die Späne fingen Feuer, knisterten. Die Flammen wuchsen, beleuchteten meinen Großvater mal heller, mal dunkler, die Schatten bewegten sein Gesicht, verzogen es zur Fratze.
    Doch auch dieses Feuer genügte nicht, um die Hütte in Brand zu setzen. Die Flammen wurden kleiner und kleiner und verloschen.
    »Komm«, sagte mein Großvater. Er ging nach vorn. Ich flüchtete vor ihm. Er setzte sich wieder auf das Sofa. Ich blieb in der Tür stehen.
    »Du kannst schreiben, nicht wahr?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Aber du kannst lesen, nicht wahr?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Obwohl ich noch nicht zur Schule ging, hatte ich mir in den Wintermonaten bei Nachbarskindern Buchstaben beigebracht. Meine Eltern wollten das nicht. »Wer zu früh lesen lernt, wird blind«, sagte mein Vater. Ich hörte auf, ihn nach den Worten und Buchstaben auf Schildern zu fragen. Die Eltern der anderen Kinder halfen mir. Ich konnte lesen. Sehr langsam.
    »Ich kann es nicht – glaube ich«, sagte ich.
    Er nahm einen Zettel und schrieb etwas darauf. Er hielt den Zettel hoch. Es war mein Name.
    Ich nickte.
    »Du hättest es mir sagen müssen.«
    Er stand auf, griff nach einem Reisigbesen. Da ich dachte, dass er mich schlagen wollte, sprang ich zur Tür hinaus auf die Veranda. »Ich kann nicht lesen!«, schrie ich.
    Er kam heraus, legte den Besen vor mich. »Du willst doch, dass hier alles brennt. Dann nimm den Besenstiel und schlag ihn gegen die Petroleumlampe in der Küche. Du darfst es, denn es ist alles nichts wert, was wir getan haben.«
    Er ging an mir vorbei zu seinem Jeep und startete den Motor. Aus dem Seitenfenster rief er: »Nun mach schon.«
    Ich nahm den Besen, ging in die Küche. Mit einem Schlag erwischte ich die Lampe, sie fiel herunter, zerbrach, und das Feuer kam wie Wasser aus ihr, floss über den Tisch, die Fotos und die Papiere. Löschte alles aus. Meine Landschaften ohne Wert.

19
    Die Asiatin drehte sich um, ging zur Tür des hinteren Raums. Ihre Füße wackelten, als hätte sie neue Schuhe, die erst eingelaufen werden mussten.

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