Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
sich nieder, zog Klebestreifen von einer Rolle und befestigte ein weiteres beschriftetes Wursttablett an der Scheibe: »Wegen Hässlichkeit und Verwirrung geschlossen!«
20
Ich erwartete das Klischee: einen unrasierten Detektiv in einem heruntergekommenen Büro. Ich erwartete sogar, dass mit dem Öffnen der Bürotür die Welt ihre Farbe verlieren, ein alter Film ablaufen würde. Aber aus einem honiggelben Teppich ragte ein Stück Wabe als Empfangstresen. Dahinter grüßte mich ein Mädchen in weißem Kittel. Eine Arztpraxis?
»Bin ich richtig? Ich wollte einen Auftrag zum Auffinden einer bestimmten Person ...« Ich zog meinen selbst gebastelten Steckbrief von Scotty hervor.
Das Mädchen nickte ernst. »Haben Sie einen Termin?«
Kopfschütteln.
»Waren Sie schon einmal bei uns?«
Kopfschütteln. Vielleicht ein Nervenarzt?
Verblüfft bemerkte ich, dass das Mädchen mich einschüchterte. Ich wagte nicht, sie anzusehen. Ich besaß bestimmt die Augen eines Irren. Ich dachte an meinen Alkoholkonsum in den letzten Tagen, dieses Sichbewusstlostrinken, um nicht an Scotty zu denken. Ich sollte wieder einmal meine Blut- und Leberwerte testen lassen, wahrscheinlich hatte meine Haut bereits einen gelben Schimmer. Ich passte besser zu der verrückten Asiatin als zu Scotty. Nur musste ich beide erst davon überzeugen, dass ich ein Mensch war.
»Wie sind Sie auf uns gekommen?«
»Das Schild unten am Haus. Ich kannte es, ich meine, ich bin schon früher hier vorbeigegangen.«
»Sie hätten längst einmal vorbeischauen sollen«, sagte sie, ganz die Krankenschwester.
»Was?« Ich sah ihr ins Gesicht.
Sie nickte ernst, dann verzog sich ihr Mund zu einem breiten Grinsen. »Ein Scherz. Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen.«
Ich sah mich um. Es gab eine Ecke mit Palme und zwei Chromstühlen. Aber die Krankenschwester kam hinter ihrer Wabe hervor und öffnete eine Tür zu einem kleinen Raum ohne Fenster. Ein heller, achteckiger Tisch. Geschirr, Gebäck, Milchkännchen, Zuckertopf und Thermoskanne zum X aufgebaut. Wieder Chromstühle. Ein Computer an der Seite. Zwei Katzenaugen in der Nacht als Bildschirmschoner. Licht streute unter einer Deckenleiste hervor und rieselte herab. Passte zu einer Bank. Ich wartete, suchte nach versteckten Waffen, roch an den Keksen.
Der Detektiv, Arzt oder Anlageberater war wesentlich jünger als Humphrey Bogart und sah auch nicht so aus, hatte aber die gleichen glatt nach hinten gekämmten Haare. Einer von diesen jungen Börsenhaien. Mit fünfundzwanzig die erste Million. Er gab mir die Hand, während er mit der anderen die Tür hinter sich schloss und mit der gleichen Bewegung den Computer aus seinem Schlaf erweckte, ehe er mich wieder losließ. Seine Bewegungen waren eckig, genau berechnet, die einer Maschine; der Händedruck war ein Test meiner elektrischen Leitfähigkeit gewesen.
»Es geht um eine verschwundene Frau ...«
»Warten Sie. Bei der Suche nach einer vermissten Person begrenzen wir von vornherein die Zeit, Herr ...«
Ich gab ihm meine Visitenkarte. Er nannte einen Pauschalpreis für die Nachforschung über eine Woche. Ich unterzeichnete eine Einzugsermächtigung für den Betrag und wollte ihm meine Skizze geben. Er stoppte mich mit der flachen Hand. »Die Personendaten nehmen wir nachher auf. Erst die Umstände. Haben Sie etwas gegen Ton- und Filmaufnahmen?«
»Nein.« Ich sah mich um, kein Mikrofon, keine Kamera.
Ich schilderte ihm meine Begegnung mit Scotty. Erzählte ihm, welche Gründe sie genannt hatte, mich zu verlassen. In seinem Gesicht zeigte sich keine Veränderung. Er schien diese Geschichten jeden Tag zu hören. Langweilig. Keines Detektivs würdig.
Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Das sind zwei Aufträge. Die Suche nach einer Frau und die Suche nach dem Auftraggeber dieser Frau. Welcher ist Ihnen vordringlich?«
Jetzt wusste ich es genau, er war der Roboter, das Aufzeichnungsgerät.
»Die Frau zuerst.«
»Das ist auch das Einfachere.«
Er stand auf, gab mir die Hand. »Bitte geben Sie meiner Assistentin eine präzise Beschreibung der Person.«
Weg war er. Suche nach vermissten Personen erledigten hier die Lehrlinge. Ich wollte aufstehen und gehen, das Geld war mir egal. Doch die Frau, die den Raum betrat, hätte mich wahrscheinlich vor ein Erschießungskommando in den sibirischen Wäldern geführt, wenn ich mich nicht wieder hingesetzt hätte. Ihre ein Meter neunzig waren mit einer Art dunklen Uniform mit dunkelroten Säumen und einem schräg über die
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