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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Er weiß das. Also warte einfach ab. Falls du vorhast, dich dann auch an mir zu rächen, denke daran, ich kann nicht anders. Ich bin genauso unter Druck wie du. Und falls dich auch das nicht überzeugt, denke daran, ich besitze immer eine geladene Waffe. Und wie du weißt, bin ich sehr schnell damit.«
    Ich kannte diese Art von Ansprache schon. Immer wenn Großvater kam, hatte sie in letzter Zeit so argumentiert. Sie verließ das Bad und ging in die Küche zu meinem Vater. Er saß am Tisch, hatte eine Bierflasche vor sich und starrte auf einen dunklen Fleck auf der Platte des Küchentisches.
    »Ich gehe«, sagte er, ohne sich zu rühren.
    »Du solltest hierbleiben.«
    Er schüttelte den Kopf, stützte die Fäuste auf und zog seinen Körper hoch.
    »Du bist ein Feigling«, sagte sie.
    »Sicher«, sagte er. Er wankte zur Tür.
    »Schönen Gruß an die Milchkuh«, sagte meine Mutter; so nannte sie die Freundin meines Vater. Es war kein Geheimnis mehr. Der Wagen meines Großvaters war zu hören.
    Die beiden Männer gingen schweigend aneinander vorbei.
    »Das«, sagte mein Großvater, »sollte nicht aus dir werden.« Er legte seine Hand auf meine Schulter. »Deshalb bin ich gekommen.«
    Er befahl mir, mich auszuziehen und ins Bad zu gehen.
    Ich gab meiner Mutter ein Zeichen, uns zu folgen.
    »Was hast du vor?«, fragte sie.
    »Es ist wie eine Art Taufe. Ein altes Mittel, Menschen zu verwandeln.«
    Er setzte sich auf den Wannenrand, hielt seine Hand ins Wasser, rührte darin. Mit der anderen Hand zog er einen Beutel mit weißem Pulver aus seiner Jackentasche. »Ich hab das von einem Schamanen aus Haiti. Und es funktioniert.«
    Er betrachtete mich. Ich stand in Unterhose und Hemd im Bad. »Ganz ausziehen! Es muss dich am ganzen Körper berühren. Wenn eine Stelle frei bleibt, bist du anfällig.«
    Er schüttete das Pulver ins Wasser. Es löste sich, schäumte und roch wie Waschpulver. Da er es selbst mit der Hand verrührte, konnte es nicht weiter gefährlich sein.
    »Rein jetzt!«
    Ich sah meine Mutter an. Sie nickte.
    Ich zog Hemd und Hose aus, stieg hinein, setzte mich.
    »Ganz untertauchen«, sagte Großvater. Er drückte meinen Kopf unter Wasser. Die Wanne war groß genug, dass kein Körperteil herausragte. Ich kam wieder hoch, wollte aussteigen, aber er drückte auf meine Brust. »Lass es wirken.«
    Er betrachtete mich grinsend. »Diese Taufe löscht jeden Eigensinn. Wenn du geglaubt hast, du könntest mit dem Erreichen des achtzehnten Lebensjahres über dich selbst bestimmen, so wirst du feststellen, dass dies nicht geht.«
    Dieser Moment bestätigte mich darin, an der Kunstakademie zu studieren, und er bestätigte mich darin, dort etwas mit Typografie zu machen. Etwas, das ganz und gar nicht im Sinne meines Großvaters sein konnte.
    »Hol tief Luft!«
    Er tauchte mich erneut unter. Als ich wieder hochkam, hatte er meine Mutter um die Hüfte gefasst. Sie gingen in die Küche. Ich neigte meinen Kopf aus der Wanne. Etwas von dem weißen Pulver war auf den Fußboden gefallen. Ich tippte es mit den Fingern an. Es war seifig, löste sich auf der Haut, als würde es in den Körper eindringen.

19
    Mutters Geschäft in der Nähe des Bahnhofs hatte sich verändert. Als sie die ehemalige Boutique übernahm, hatte es nur zwei große Fensterflächen und eine schlichte Tür mit Aluminiumrahmen gegeben. Jetzt besaß der Laden eine Holzfassade, sechs schmale, mehrfach unterteilte Fenster mit Rundbögen. Eine hölzerne Tür mit Ornamenten im Jugendstil. Das Geschäft war künstlich gealtert. Es wirkte, als bestände es schon seit über hundert Jahren.
    »Ohne Milch« stand auf einem aus Holz geschnitzten Schild, wie man es eher in einem Bergdorf erwartet statt in einer Großstadt. Bewusst war beim Herausarbeiten der Schrift jeder Meißelstich sichtbar geblieben. Eine Aneinanderreihung kleiner Holzschüsseln.
    Mit dieser Gestaltung hatte sie es geschafft, den Eindruck von einfachem, ursprünglichem Leben und Naturnähe entstehen zu lassen. Ich sollte ihr nach wie vor nicht über den Weg trauen.
    Die Ohne-Milch-Idee verfolgte meine Mutter schon lange. Sie litt unter starker Migräne und war überzeugt, nur Produkte ohne Kuhmilch würden ihr helfen. Sie hielt ihre Migräne für eine allergische Reaktion darauf. Nach der Scheidung von meinem Vater hatte sie aus ihrer eigenen Suche nach milchfreien Lebensmitteln eine Geschäftsidee gemacht. Produkte mit Sojamilch akzeptierte sie, und der Laden lief von Anfang an gut.
    Ich stieß mich

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