Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
wissen.«
»Sie lebt noch?«
»Sicher lebt sie noch.« Sie legte ihre Hände vor das Gesicht.
»Mein Gott, du kostest mich zwei weitere Tage in Dunkelheit und Schmerz. Geh!«
»Wo ist Großmutter?«
»Was weiß ich. Sie ist umgezogen, hat mir nicht mitgeteilt, wohin. Frag Frank Godin.«
»Vater? Wo ist er?«
»Was weiß ich. Wo soll er sein? Es interessiert mich nicht.« Sie ließ sich auf die andere Lehne des Sessels fallen. »Geh jetzt.«
Ich stand auf und sah auf sie herab.
Sie hob die Hände an die Schläfen, hielt die Augen geschlossen. Aus der Entfernung im Halbdunkel wirkte sie wie ein junges Mädchen.
»Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich wäre gern anders gewesen. Ein anderes Kind. Warum habt ihr mich Großvater überlassen?«
Sie öffnete die Augen nicht.
»Ich brauche eine Antwort!«
Ich beugte mich zu ihr herab. »Du überschätzt das Leben«, flüsterte sie. »Es ist nicht so bedeutsam, wie du denkst. Nach deinem Tod wird dir das klar werden.«
Jetzt erkannte ich, was sie im Schoß umklammerte: einen Revolver.
Ich ging zur Tür. Der Schuss kam nicht. Draußen stand Doris Day auf Strümpfen, die blauen Pumps in der Hand. Offensichtlich hatte sie an der Tür gelauscht.
Sie hüpfte auf Zehenspitzen voraus. Im Büroraum angekommen, schwor sie, nichts von dem verstanden zu habe, was wir besprochen hatten. Sie schaukelte den Kopf, rollte mit den Augen. Meine Frage, ob meine Mutter ausgehe, verneinte sie. »Sie geht nur in den Laden. Nur zur Kontrolle oder um das Geld zu holen. Sie geht nicht mehr aus. Jedenfalls weiß ich nichts davon.«
Sie zog sich die Pumps wieder an, dann richtete sie sich auf, zupfte das rosa Kostüm glatt.
»Sie sind perfekt als Doris Day.«
»Danke, das freut mich. Es sind gerade Doris-Day-Wochen. Jeden Abend läuft ein anderer Film.«
»Ich weiß. Ich hab es gesehen: Alle Frauen gehen als Doris Day und die Männer als Rock Hudson.«
»Waren Sie drin?«
»Nein.«
»Wir sprechen die Dialoge mit und werfen Konfetti in den Kinosaal. Es ist einfach toll.«
»Rock Hudson war schwul.«
»Die Besten sind schwul.«
Ich war schon im Treppenhaus, als sie hinter mir hertrippelte, den Hintern herausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten. Ein S im Alphabet. Sie hielt mich am Ärmel fest.
»Wissen Sie, dass Ihre Mutter ab und zu eine Katze erschießt?«
»Ja, das hat sie früher auch schon getan. Sie hat alle unsere Haustiere erschossen. Vor allem dann, wenn ich sie liebte. Mir war einmal ein Hund zugelaufen, ein Colliemischling ...«
Ihre Gesichtsfalten zogen sich spitz zur Stirn. »Hören Sie auf, mir kommen die Tränen. Mein Make-up ist für heute Abend schon fertig. Es läuft Der Mann, der zu viel wusste. Alle singen mit.« Sie schwieg einen Augenblick und schniefte. »Wenn ich etwas an diesem Job hier hasse, dann ist es das Wegschaffen der Katzenleichen. Nach etwa einer Woche will sie dann ein neues Tier. Katzen meinetwegen, aber einen Hund, einen Hund würde ich nicht ertragen. Bloß keinen Hund. O Gott, ich würde kündigen.«
Sie ließ meinen Arm los. »Und Sie sind wirklich dieser Gordon?« Sie ging rückwärts die Treppe hinauf. Ein plötzlicher Gedanke verwandelte ihren Ausdruck. Sie sah mich an, als wäre ich ein Monster.
22
Salina hockte als Kleiderbündel auf einem Reifenstapel vor dem Werkstatteingang. Der weite graue Monteuranzug stand an den Seiten ab wie ein Ballon, aus dem die Luft rausgelassen worden war. Er war frisch gewaschen, mit hellen, abgescheuerten Rändern. Als sie mich sah, sprang sie auf. Am Knie war der Stoff aufgeschlitzt und an den Hosenbeinen ausgefranst. Sie schüttelte die blonden Locken aus dem Gesicht, um mir ihren Ärger zu zeigen.
»Sie kommen spät.«
»Wir hatten keine Zeit ausgemacht.«
»Wir müssen die Räder noch montieren.« Sie deutete auf den Stapel, auf dem sie gesessen hatte. Reifen fast ohne Profil, die schon auf Felgen montiert waren. Sie zog sich ihre Handschuhe über.
»Ist es weit zu Ihrem Vater?«
Sie nickte, rollte das erste Rad neben das Auto. Die Werkstatt war aufgeräumt, sauber, der Wagen mit gestapelten Kanthölzern aufgebockt. Sie bemerkte meinen Blick.
»Ich habe schwer gearbeitet, um alles in Ordnung zu bringen.«
»Haben Sie auch solche Handschuhe für mich?«
Sie runzelte die Stirn. »Haben Sie auch so einen Waschtick?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Wenn meine Hände schmutzig werden, beginnt es mich am ganzen Körper zu jucken. Ich bekomme Ausschlag.«
»Nein, so schlimm ist es bei mir
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