Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
nicht.«
»Dann brauchen Sie doch keine Handschuhe.«
Ich nahm ein weiteres Rad. »Ist es egal, wo welcher Reifen draufkommt?«
»Das sieht man doch. Bei diesem Wagen ist alles egal.«
»Fährt er überhaupt noch?« Ich betrachtete meine Handflächen. Sie waren bereits schwarz.
Sie schwieg, schraubte die Radmuttern auf und zog sie mit einem Kreuzschraubenschlüssel fest. Ihre Unterarme schoben sich dabei aus dem Monteuranzug. Zwei eckige Stangen einer menschlichen Maschine, die Kraft nur durch Hebelwirkung erzielen.
»Magersucht, Anorexie, Bulimie?«, fragte ich.
Sie ließ den Schraubenschlüssel fallen, schob ihn mir mit dem Fuß zu. »Jetzt Sie.«
Ich zog meine Muttern fest, und sie sagte: »Fettsucht, Übergewicht, Fresssucht?«
Ich kam hoch, grinste sie an. »Etwa fünf Kilo zu viel. Das Alter. Ich gebe Ihnen gern davon ab.«
Wir montierten die restlichen Reifen. Dann drückten wir gemeinsam mit aller Kraft auf den Kofferraum, um den Wagen von den Kanthölzern zu schieben. Es gelang uns nicht.
Salina holte einige Bretter, keilte sie unter die Hinterreifen, dann stieg sie ein. Der Motor sprang beim dritten Versuch an. Krachend legte sie einen Gang ein. Die Hinterreifen schleuderten die Bretter von sich, und der Wagen sprang mit einem Satz von den Böcken bis nach draußen.
Ich ging um das Auto herum und zog an allen Reifen die Radmuttern nach. Dann suchte ich einen Lappen, um meine Hände zu säubern, aber es gab keinen mehr.
Salina befahl mir, mich umzudrehen. Wieder wechselte sie den Overall gegen einen frischen aus. Ich nahm den alten hoch. »Kann ich mir daran die Hände abwischen?«
Der Ekel zog ihr die Lippen hoch. Ich tat es trotzdem. Sie winkte ungeduldig, ich solle einsteigen. Ich hob die alten Zeitungen auf dem Beifahrersitz hoch, aber darunter kam das Drahtgeflecht des Sitzes zum Vorschein. Ich setzte mich auf die Zeitungen.
Salinas Rückenlehne war weit zurückgestellt, ließ sich aber nicht nach vorn drehen. Sie hatte die Handschuhe anbehalten und hing mit beiden Händen am Lenkrad, um sich aufrecht zu halten. Sie fuhr vorsichtig, langsam aus der Stadt heraus. Ich wollte mich anschnallen, zog an dem Gurt. Er rührte sich nicht. Auch der Tachometer funktionierte nicht. Die glänzende Oberfläche des Lenkrads war an einigen Stellen durchgescheuert. Eine matte graue Schicht wie Knetgummi lag darunter. Oben auf dem Armaturenbrett musste früher einmal ein zusätzliches Gerät montiert gewesen sein. Die Anschlussdrähte hingen noch herab.
Wir fuhren jetzt auf schmalen Straßen, kaum breiter als der Wagen. Asphaltierte Feldwege. Kreuzungen ohne Wegweiser. Einmal stand in der Ferne zwischen Baumgruppen ein Haus. Dann sah ich kurz einen Kirchturm. An einer Abzweigung ein zerbrochenes Pappschild. Ein stillgelegtes Kieswerk. Die Zufahrt war an beiden Seiten von einem jungen Birkenwald bewachsen. Wir bogen ab und standen nach wenigen Metern vor einer rostigen Schranke. Salina stieg aus und wuchtete den rot-weißen Balken hoch.
Die Zufahrt führte geradeaus und leicht bergauf. Ihr Ende war nicht zu sehen. Salina beschleunigte immer mehr, und in dem Augenblick, als ich befürchtete, der Motor würde explodieren, öffnete sie die Fahrertür und stürzte sich hinaus.
Für Sekundenbruchteile spürte ich eine heraufziehende Erstarrung. Dann griff ich nach dem Steuerrad. Mit der zweiten Hand erreichte ich die Handbremse zwischen den Sitzen. Ich zog daran, aber das hatte keine Wirkung. Vorsichtig schwenkte ich ein Bein zum Fahrersitz hinüber, um das Bremspedal zu treten. In diesem Moment hatte ich den höchsten Punkt der Straße erreicht. Nicht weit vor mir riss der Asphalt ab, öffnete sich zur Kiesgrube. Es gelang mir, die Bremse zu treten, aber dadurch zog der Wagen nach rechts. Ich versuchte gegenzulenken. Der Wagen schlingerte heftiger, rutschte mit einem Rad von der Fahrbahn in eine Furche, schleuderte herum und kippte wie in Zeitlupe auf die Fahrerseite. Die Tür riss ab, Scheiben splitterten, das Blech schrie, und das Auto rutschte auf der Seite weiter, scheinbar ohne seine Geschwindigkeit zu verringern. Dann blieb es mit einem Ruck stehen. Ich wurde nach vorn an die Scheibe gepresst. Der Motor ging endlich aus. Der Wagen neigte sich, wollte auf das Dach rollen, verharrte dann in der Waage, wartete auf eine kleine Bewegung von mir, um das Gleichgewicht zu verlieren.
Durch das langsame Kippen hatte ich mich gut abstützen können. Jetzt versuchte ich, die Tür über mir zu öffnen. Sie
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