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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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Leben gerettet hatte. Das Alarmzentrum, das den paralysierten Willen weckte. Ein brodelnder und unverfälschter Instinkt des Selbsterhalts.
    Nein!
    Der Rand des Daches, der zu jener Grenze geworden war, bebte unter ihm. Klaw schwankte.
    Die Mauer des gegenüberliegenden, mit Werbetafeln gespickten Hauses verdrängte die Straße aus seinem Blick.
    Er riss sich vom Rand weg, entkam dem Loch in dem verrosteten Zaun.
    Und landete im Himmel. Drei trübe Sterne schoben sich durch die Wolken. Irgendwann glaubte er, er liege unten, auf dem Asphalt, und schaue mit gläsernen Augen in den Himmel, während um ihn herum, sein Blut verschmierend, Fußgänger wimmerten und wuselten.
    Dabei lag er auf dem Dach. Es war den Sternen ganze vierundzwanzig Stockwerke näher. Und über ihn beugte sich nur ein einziges Gesicht, das im Licht der Neonreklame todgrün aussah.
    In den feuchten Augen lag ein unverständlicher, aber klarer und Furcht erregender Ausdruck.
     
    Warum um alles in der Welt grübelte er eigentlich darüber nach, wie sie ihn sah? Als einen alten, rational handelnden Junggesellen, der sein kaltes Beamten-Ich sorgsam von seinem Lustmolch-Ich fern hielt, diesem Tier, das in Bergen steriler Laken wütete? Natürlich fand sie ein solches Leben unnormal. Fedora dagegen – um nur ein Beispiel zu nennen – hatte daran absolut nichts auszusetzen: Er war frei, reich, ehrgeizig, da hatte er doch auch das Recht …
    Mit einem Seufzer vertrieb er den drängenden Wunsch nach einer Zigarette. Es erstaunte ihn, dass die Füchsin Ywha das beschauliche Familienleben so aufrichtig schätzte. Eine solche Sicht ist für Hexen absolut untypisch. In der Regel.
    Verflucht sei Juljok! Und verflucht sei Nasar!
    Klawdi ließ ihre Hand los und stand auf. Er verzog das Gesicht, denn er hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund, entstanden durch allzu große Anspannung. Ein Andenken an die fünf Elevinnen, diese Luder; nicht einmal das Verhör hatte er übernehmen wollen; sollte sich Hljur ruhig damit herumschlagen. Dabei fürchtete er sich nicht vor ihnen – obwohl Angst eine Rolle spielte. Er fürchtete nämlich, sich nicht beherrschen zu können und — wenn auch nur minimal – Rache üben zu wollen. Für diesen Horror, als der Schmerz aus seinen Ohren kroch und diese fünf Furien auf ihn losgingen, ihn zerquetschten, drohten, ihn in Stücke zu reißen.
    Dabei hatte er von Anfang an gewusst, dass nicht Edelmut die drei Arbeitshexen antrieb. Im Grunde war es seltsam, dass nur eine von ihnen eine Pistole besaß. Womit wohl die beiden anderen ausgerüstet waren?
    Die Torka. Vermutlich hatte sie ihm das Leben gerettet.
    »Fünf gegen einen, Ywha! Auf so viele hatte ich es wahrlich nicht angelegt.«
    »Wie bitte?« Die junge Frau horchte auf.
    »Nichts.« Er trat ans Fenster und zog die Gardinen zurück, um das erste Morgenlicht hereinzulassen. »Hexen schließen sich sehr selten zusammen, Ywha. Jede Hexe steht für sich allein. Aber wenn sie plötzlich Allianzen eingehen, kann das zum Beispiel zur Epidemie von Rjanka führen. Und es ist die Aufgabe eines klugen Inquisitors zu verstehen, wann und weshalb es diesen Miststücken, verzeih, Ywha, diesen Hexen in den Sinn kommt, gemeinsam zuzuschlagen.«
    Ywha stieß einen unterdrückten Seufzer aus.
    »Sie hassen die Unfreiheit so sehr, dass sie niemanden außer sich selbst gelten lassen können. […] Genau wie zwei große Vögel sich nicht am Himmel treffen können, ohne einander mit ihren Flügeln ins Gehege zu kommen. Genau wie zwei Windhosen über dem Meer fürchten, sich einander zu nähern […], so können auch Hexen nicht in einer Gemeinschaft leben, können sich nicht verbinden. Hexen sind dem Chaos verpflichtet, wohingegen jede gemeinschaftliche Existenzform eine wenn auch nur geringfügige Einschränkung der Freiheit verlangt. […] Aus der Geschichte sind jedoch Phasen bekannt, in denen die Hexen, dabei höchst eigenen Gesetzmäßigkeiten folgend, entgegen ihrer eigenen Natur handeln und Allianzen eingehen. In schlechten Zeiten. In schweren Zeiten, in denen es gilt, ihnen so tapfer wie möglich entgegenzutreten; mehr aber noch gilt, nicht in jenen Chor von Narren einzustimmen, der in fortgesetzter Häresie von der Ankunft der Mutterhexe singt!«

7
    »Ihr habt also als Netz gearbeitet? Nicht einen starken Schlag geplant, sondern viele kleine Schubser, Fäden gesponnen und Knoten geknüpft, Brunnen vergiftet und Zöpfe in Schaffell geflochten? Ja?«
    Ywha war schlecht. Mit ihrem ganzen

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