Das Jahrhundert der Hexen: Roman
Hexen ihre Kraft aus ihrer Hexenschaft schöpfen, und es erstaunt nicht, wenn meine Herrinnen ohne jedes Gift eine Quelle zu vergiften vermögen, ohne jede Lanzette Blut abzulassen vermögen … Welcher Art ist nun die Kraft, die meine Herrinnen, die seit Jahrhunderten ohne jede Zügel durchs Leben gehen, an die Leine nimmt?
Von Inquisitoren heißt es, sie seien Zauberer. Man beliebt zu sagen, jenes Zeichen auf einem Stein, mit dem meine Brüder, die Inquisitoren, meine Herrinnen – die Hexen – martern, sei nichts anderes als ein Zauberzeichen. Man beliebt auch zu sagen, die Inquisitoren unterwürfen die Hexen durch Zauberkunst. Auch mich fragt man danach, allerdings antworte ich nie.
Diejenigen, die sich Zauberer nennen und in Höhlen leben, zwingen Fledermäuse zu Gehorsam. Sie sind, wie mich dünkt, seltsam und ohne Fromm. Wieder und wieder beteuern sie, einzig Wissen zusammenzutragen – doch was ist ihr Wissen anderes als der Staub, der sich auf jahrhundertelanger Unkenntnis gebildet hat? Ihre Sprüche zeigen gleichermaßen Wirkung bei Fledermäusen wie bei Eichhörnchen, ja, gar bei Menschen und Hexen. Die Zauberer pflegen keinen Unterschied zu machen. Ihr Können ist schöner und eitler Wahn, mehr nicht. Was liegt denn Gescheites darin, eine Fledermaus abzurichten, Wein zu servieren? Der Anblick einer so gequälten Kreatur ruft einzig Bitternis hervor. Noch nie vermochte jedoch einer derjenigen, die sich selbst Zauberer nennen, einen Alten zu verjüngen, einer Hafendirne die längst vergessene Jungfernschaft zurückzugeben.
Indes, ich schweife ab. Das Wasser in der Flasche, die ich mir, die Füße zu wärmen, unterlegte, ist erkaltet. Ich sollte die Magd anweisen, mir eine neue Flasche zu bringen. In diesem Winter feien uns selbst die dicksten Fensterläden nicht gegen die Kälte. Meine Gelenke schmerzen, die Schikanen des Arztes verhalfen mir nur bedingt und nicht auf lange Zeit zu Linderung.
Vorgeblich leiden Zauberer nicht unter Gelenkschmerzen. Dem Vernehmen nach erkranken sie niemals, sondern legen sich, gesund wie die Vögel im Frühling, ins Grab. Gesund zu sterben aber ist eine Schmach. Krank zu leben ist freilich eine noch weitaus größere Schmach. Doch was rede ich da: als hätte ich, der Großinquisitor von Wyshna und vorgeblich selbst ein Zauberer, mich mit Heilumschlägen zu plagen!
Die Magd erschrickt, sobald ich über mich spotte.
Also – ist doch nicht jeder Inquisitor ein Zauberer? Also – ist das Können eines Inquisitors keine magische Gabe? Welches sind dann aber jene unsichtbaren Fangseile, mit denen wir meine Herrinnen – die Hexen – bezwingen? Und warum richten wir mit ihnen bei anderen nichts aus?
Dem Vernehmen nach vermag sich ein Inquisitor, der sich eine Hexe gefügig machen kann, auch alle anderen gefügig zu machen. Gewiss – freilich nur in der Weise, wie ein jeder Mensch, der über die innere Kraft gebietet, sich andere gefügig machen kann. Kein Geheimnis umweht das Geschick eines Inquisitors, sich einen Freund zu Willen zu machen, eine geliebte Frau oder eine Handvoll Bürger. Dies gelingt ihm ohne Zuhilfenahme seiner Kraft, einzig mit seinem Willen. Hingegen bedarf es für die Verfertigung eines Geständniszeichens auf einem Stein mehr als des bloßen Willens vonseiten des Inquisitors.
Manchmal frage ich mich, in nächtlicher Trauer den Blick ins Feuer gerichtet, ob nicht auch die Hexen Zeichen verfertigen? Andere freilich, wiewohl welche, die ihrer Natur nach mit unseren vergleichbar sind. Sollte gar die Kraft des Inquisitors, welche uns gegeben ist, zum Kampfe gegen die Hexen, damit die Welt die jetzige bleibe, am Ende nur eine Widerspiegelung der Hexenkraft selbst sein?«
Ywha schlug das Buch zu.
Damit die Welt die jetzige bleibe. Es dämmerte bereits. Und jetzt konnte sie von dem Treffen mit Nasar mit Fug und Recht behaupten: Es findet heute statt.
Naiverweise hatte er angenommen, alles über Hexen zu wissen.
Er folgte Kosta, dem Inquisitor im Außendienst, einem hervorragenden Einsatzleiter. Vielleicht trübte gerade das seine eigene Aufmerksamkeit ein wenig. Vielleicht aber auch nicht; vielleicht lag es einfach daran, dass alles, was nun geschah, sein hervorragendes Reaktionsvermögen um einiges überstieg.
Kosta blieb stehen. Er hob den Arm, als wolle er sich verteidigen, und brach langsam, wie in Zeitlupe, seitlich zusammen.
In diesem Augenblick spürte es Klawdi ebenfalls.
Die Hexe war hier. Sie war nicht verschwunden, war nicht durch den
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